MASKENBALL UM MITTERNACHT
schroff. „Und nun gehen Sie endlich!“
Eine höfliche Ablehnung hätte bei dem Trunkenbold wohl nichts genützt. Er glotzte sie noch einen Moment mit zusammengekniffenen Augen an, und Callie dachte eine Schrecksekunde lang, er würde handgreiflich werden. Doch dann zuckte er mit den Achseln, kam schwankend auf die Füße und entfernte sich.
Zu ihrer Bestürzung sah Callie, dass einige Gäste die Loge verlassen hatten, während sie versucht hatte, den Betrunkenen loszuwerden. Miss Swanson und Miss Turner und die beiden Dandys waren verschwunden. Callie blickte sich suchend um und entdeckte die vier mit einiger Erleichterung auf dem Tanzboden, bevor sie im Gedränge der Tanzenden untertauchten.
Callie schaute sich in der Loge um. Mr. Swanson schien seine Grenzen erreicht zu haben, er lag halb auf dem Tisch, den Kopf in die verschränkten Arme gebettet, und schnarchte. Mr. Tilford schenkte sich ein weiteres Glas Punsch ein und schlurfte durch die Hintertür ins Freie.
Callie wandte sich Lady Swithington zu, die mit den beiden Fremden schäkerte und lachte. Kokett spielte sie mit ihrem Fächer, öffnete und schloss ihn, und berührte damit den einen oder den anderen auf befremdlich anzügliche Weise.
Einer hob ihre Finger und drückte einen unschicklich langen Kuss auf ihren Handrücken, ohne dass Daphne Anstalten machte, sich ihm zu entziehen. Sie lachte kehlig, neigte sich ihm zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Lady Swithington“, sagte Callie laut und vernehmlich. „Ich … ich möchte gehen. Francesca macht sich gewiss schon Sorgen um mich.“
Es dauerte einen Moment, bis Daphne sie wahrnahm. „Aber meine Liebe. Es ist noch früh. Sie wollen uns doch nicht jetzt schon verlassen.“
„Ich … Lord und Lady Radbourne sind nicht gekommen, und ich … ich fürchte, dies ist nicht der richtige Ort für mich. Wenn Sie freundlicherweise Ihren Wagen vorfahren lassen …“ Sie hatte keine Ahnung, wie sie die Kutsche unbehelligt erreichen sollte, aber sie hatte das dringende Bedürfnis, augenblicklich von hier fortzukommen, bevor die Situation sich noch weiter zuspitzte.
Lady Daphne lachte hell und machte eine anmutige Handbewegung. „Aber nein, Sie dürfen noch nicht gehen. Brom muss jeden Augenblick auftauchen. Lassen Sie sich doch von Lord und Lady Radbourne diesen vergnüglichen Abend nicht verderben.“
„Ich bin … ich glaube nicht, dass Lord Bromwell noch kommt“, antwortete Callie und hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. „Es ist schon recht spät.“
Lady Daphne erhob sich. „Der Abend hat doch kaum begonnen. Nein, Sie können noch nicht gehen. Kommen Sie.“ Sie streckte Callie die Hand entgegen. „Kommen Sie mit uns. Wir wollen tanzen. Der bedauernswerte Willoughby braucht eine Partnerin, nicht wahr, Mr. Willoughby?“
Besagter Willoughby beäugte Callie unter schweren Lidern, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, sie kommt nicht mit. Sie ist ein Trauerkloß.“
„Siehst du?“, bestätigte der Betrunkene triumphierend. „Hab ich doch gleich gesagt.“
„Ich möchte gehen“, beharrte Callie. „Und meiner Meinung nach sollten Miss Swanson und Miss Turner gleichfalls gehen. Sie tanzen mit diesen fremden Herren, völlig ohne Aufsichtsperson.“
„Einverstanden, wenn Sie es wünschen“, antwortete Daphne großmütig. „Sobald Brom angekommen ist. Wobei ich bezweifle, dass Miss Turner und Miss Swanson darüber erfreut sind, wenn Sie ihnen den Abend verderben“, fügte sie lachend hinzu. „Aber bitte, wenn Sie nicht mit uns tanzen wollen …“
Sie hakte sich mit einem strahlenden Lächeln bei den beiden Männern unter. „Kommen Sie, meine Herren. Ich brenne darauf, das Tanzbein zu schwingen.“
Der Mann, der nicht Willoughby hieß, lachte anzüglich und murmelte: „Und nicht nur das, möchte ich wetten.“
Lady Swithington, keineswegs entrüstet über die anstößige Bemerkung, zwinkerte ihm kokett zu. „Wir werden sehen, nicht wahr?“
„Lady Swithington!“ entfuhr es Callie entrüstet.
Daphne gab vor, sie nicht zu hören, und verließ beschwingt mit ihren Begleitern die Loge. Callie starrte dem Trio entgeistert nach. Dann drehte sie sich langsam um. Mr. Swanson schlief schnarchend über dem Tisch liegend seinen Rausch aus. Sie war allein und hatte sich nie in ihrem Leben einsamer gefühlt als in diesem Moment. Draußen auf der Promenade flanierten die nächtlichen Besucher, Lady Daphne war mit ihren Galanen in der Menge untergetaucht und von der restlichen
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