Maskenball
Dr. Fritz Theodor Hübgens war der Fall aber noch nicht vom Tisch. »Wie Sie meinen. Aber ich möchte noch einmal betonen: Dr. Köhler mag uns in letzter Zeit etwas merkwürdig erschienen sein, aber er ist ein ausgezeichneter Mediziner. Der alles in seiner Macht Stehende tut, um den ihm anvertrauten Patienten das Leben wieder lebens- und liebenswert erscheinen zu lassen. Auch wenn das manchmal nur für kurze Zeit, oder, leider oft genug noch, gar nicht gelingt. Wir Menschen werden zwar immer älter, aber die Forschung hat noch keinen Weg gefunden, um das verlängerte Leben zumindest erträglich zu machen. Und, äh, mein Personal ist absolut zuverlässig, und damit meine ich jeden meiner Mitarbeiter. Aber kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt das Zimmer von Herrn Verhoeven. Wenn ich vorausgehen darf.« Dr. Hübgens hatte sich wieder unter Kontrolle und stand auf.
Auf dem Weg durch das Hauptgebäude Eins kamen sie an mehreren Grüppchen aus Patienten und Schwestern vorbei, die aufgeregt tuschelten, als sie die beiden Herren in Zivil und den Klinikchef sahen. Die Nachricht vom Tod des Patienten hatte sich natürlich schon herumgesprochen.
Im Inneren des großzügigen Gebäudes war auf den ersten Blick nur noch wenig vom Charme der Jugendstilkunst zu sehen. Außerdem ließ sich das Alter des Gebäudes nur noch an dem einen oder anderen Rundbogen ablesen, der nicht im Zug der verschiedenen Modernisierungsphasen verschwunden war. An mehreren Stellen waren die abgehängten Decken geöffnet, aus denen dicke Kabelstränge ragten.
Wie zur Entschuldigung meinte der Chefarzt der Geriatrie, extra auf das Chaos aus Kabeln, Farbeimern und Leitern hinweisen zu müssen. »Auf der Eins wird gerade der Brandschutz verbessert. In ein paar Wochen ist der Spuk vorbei, und alles läuft wieder normal. Sie glauben ja gar nicht, wie schwierig es ist, in einem denkmalgeschützten Haus moderne Vorschriften umzusetzen. Unendlicher Papierkram, immer wieder Kontrollen. Manchmal ist das wirklich zum Verzweifeln.«
»Von wann ist das Haus, und wer hat es bauen lassen?« Ecki sah sich interessiert um. Frank dachte, dass dies auch an der jungen Pflegeschülerin liegen mochte, die plötzlich aus einem der Patientenzimmer gekommen war und nun kurz vor ihnen den Gang entlang ging.
»Sie haben eben im Sitzungszimmer sicher die Porträts einer jungen Frau bemerkt. Das war die Stifterin dieser Anlage, Louise Gueury. Die 46 Jahre alte Tochter eines belgischen Kaufmannes war damals unheilbar an Tuberkulose erkrankt und hatte wenige Monate vor ihrem Tod die Stadt Mönchengladbach zur Universalerbin ihres umfangreichen Vermögens eingesetzt. Allerdings mit der Auflage, mit dem Geld eine so genannte ›Volksheilstätte für heilbare Lungenkranke‹ zu errichten. 1904 wurde das Krankenhaus eröffnet. Lungenkranke werden heute bei uns gar nicht mehr oder nur noch sehr wenig behandelt. Seit den 80er Jahren arbeiten wir als geriatrisches Haus, als Krankenhaus für Menschen mit altersbedingten Erkrankungen. Das war damals absolutes Neuland.«
»Rührend.«
Frank wusste nicht, ob Ecki das nun auf die Geschichte des Hauses bezogen hatte oder auf den, zugegeben, knackigen Hintern der hübschen jungen Schwester vor ihm.
Frank war auf den Anblick nicht vorbereitet. In einem vom Flur durch große Glasscheiben abgetrennten schmucklosen Raum sah er drei Männer an einem Tisch sitzen, zwei von ihnen im Rollstuhl. Zuerst dachte Frank, die Patienten hätten sich zu einer gemütlichen Plauderrunde zusammengefunden. Tatsächlich schien es so, als ob sie sich gegenseitig nicht einmal wahrnehmen würden. Als würden sie auf etwas oder jemanden warten. Wie geparkt. Einer von den Patienten starrte vornübergebeugt stumm auf eine Illustrierte, die aufgeschlagen vor ihm lag. Er trug einen schon längst unmodernen, dunkelgrün und weiß gestreiften, verwaschenen Frotteebademantel. Das Gesicht konnte Frank nicht erkennen. Sein Nachbar saß in einem Rollstuhl schräg von ihm. Sein gelbliches Gesicht war ausgemergelt. Sein grauer Hausanzug hing viel zu groß um den dürren Körper. Die Augen des Mannes lagen tief in ihren Höhlen. In der rechten Hand hielt er eine brennende Zigarette, an der er hektisch zog. Seine Hände waren so erschreckend schmal und dürr, dass seine gelben Fingernägel unnatürlich groß wirkten. Obwohl er die Beine wie zur Entspannung übereinandergeschlagen hatte, sah er armselig und zusammengefallen aus. Seine fast weißen Haare hingen in dünnen Strähnen
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