Maskenball
saß mit im Loch neben ihm, jeden Tag, jede Nacht. Und immer diese Fallen in seiner Nähe. Tödliche Fallen.
Diese Bilder, diese schrecklichen Bilder! Er wand sich. Sie zogen ihn wie ein Bündel Kleider am Baum empor. Sie stützten und hoben ihn, denn seine Beine wollten ihn nicht länger tragen. Wie gelähmt. Ein Strick, holt einen Strick! Er hörte die Worte jede Nacht. Sie banden ihn und sie schlugen ihn. Immer wieder. Immer wieder auf Arme und Beine. Blut sickerte durch Jacke und Hose. Er schrie nicht mehr. Ein Sack musste her. Ein Tuch für die Augen. Nein, besser noch ein Sack. Was brauchen wir ein Tuch? Dahinten, bei den Kohlen, holt den Sack. Los. Ich befehle es euch. Gehorcht, sonst …!
Ich habe jetzt hier die Gewalt. Und ich sage es vor allen, du hast uns verraten. Ich habe deine Zeichen gehört. Du hast kein Recht mehr auf dieses Leben. Du bist ein Verräter. Du musst sterben. So will es das Gesetz. Sprich dein letztes Gebet. Ach was, schießt! So schießt doch endlich!
Ein dünner Knall, der Körper sackt zusammen. Kein Aufbäumen, kein Flehen mehr. Stille. Kein Leben mehr. So jung noch. Und schon ausgelöscht. Schafft ihn weg, aus den Augen mit ihm. Schnell. Verscharrt ihn hinter dem Wall, zimmert ein Kreuz. Ich will ihn nicht mehr sehen. So geht es Verrätern. Drohendes Lachen. Nun, wer will der Nächste sein? Wer hat Lust auf Verrat? Lasst euch das eine Lehre sein. Gebt weiter Acht! Es ist eure Pflicht und eure Ehre.
Das war kein Spiel mehr. Das war Ernst. Langsam fielen die Blätter. Sie deckten zu.
Die Luft blieb ihm fast weg. Jede Nacht dieselben Bilder. Der Wahnsinn musste ein Ende haben. Er drückte sein Gesicht in das Kissen, hoffte auf den Geruch von frischer Räucherwurst. Und auf Bilder seiner Mutter. Hilf mir doch! Ich ersticke. Überall dieser Dreck, diese Blätter. Sein Rücken schmerzte. So krumm lag er unter seiner Decke. Es half ihm nichts. Er hörte dieses Klopfen: Einmal lang, dreimal kurz, einmal lang. Immer wieder dieses verdammte Klopfen.
Er machte sich frei von den Decken und setzte sich auf. Es war Zeit und es war klar. Er musste seine Arbeit tun. Arbeit ist die beste Medizin. Er stand auf und ging ohne Mantel ans Meer. Die schwarze See toste und der Wind fauchte schneidend kalt über den Strand. Er schrie in das Wetter hinein, schrie sich die Seele frei und fühlte Erleichterung. Endlich.
IX.
»Schatz? Kommst du mal?« Lisa rief aus dem Wohnzimmer.
Frank schob das Blech mit der Pizza in den Backofen, wischte sich die Hände an einem Küchenhandtuch ab, nahm sein Glas Rotwein und folgte ihrem Ruf.
»Habe ich dir schon gesagt, dass ich bei Schaffrath ein süßes Kinderzimmer gesehen habe? Das können wir uns gleich morgen ansehen, wenn ich aus der Schule komme.«
Frank setzte sich neben sie und strich ihr zärtlich über die Wange. »Das wird wohl nicht gehen, wir stecken doch mitten in unseren Ermittlungen.«
Lisa rückte ein Stück von ihm ab und sah ihn mit ernsten Augen an. »Aber du wirst doch eine Viertelstunde Zeit haben? Ist doch direkt bei euch um die Ecke. Du brauchst doch nur über den Parkplatz zu gehen.«
Frank drehte das Weinglas zwischen seinen Händen. »Das ist nicht so einfach, wie du denkst. Ich kann doch nicht in der Besprechung aufstehen und sagen: ›Liebe Kollegen, ich muss mal schnell ein Kinderzimmer aussuchen. Der Mord muss so lange warten.‹«
»Mein lieber Schatz, viele deiner Kollegen sind auch Väter. Die werden sicher vollstes Verständnis für dich haben.« Sie rückte noch ein Stück von ihm ab und strich sich mit einer entschiedenen Bewegung eine Haarsträhne hinter ihr rechtes Ohr.
Für Frank war dies das untrügliche Zeichen dafür, dass er auf der Hut sein musste. Wenn Lisa so vor ihm saß, standen die Zeichen meist auf Sturm. »Ach, komm, lass mich den Mordfall erst zu Ende bringen. Dann habe ich auch wieder mehr Zeit. Oder, noch besser, geh du doch alleine die Möbel aussuchen. Du hast doch einen tollen Geschmack. Du kannst mir dann alles nach Dienstschluss erzählen.«
Falsch, das war natürlich die völlig falsche Antwort. Lisa knallte ihren Kakaobecher auf den Couchtisch aus Kiefernholz und verschränkte beleidigt und zugleich voller Kampfeslust die Arme vor der Brust. Unter ihrem T-Shirt wölbte sich leicht ihr Bauch.
»Lisa, so war das doch nicht gemeint. Sei bitte nicht sauer. Aber ich kann wirklich nicht anders.« Frank versuchte, an sie heranzurücken. Aber sie wich noch weiter zurück.
»Frank Borsch, du wirst
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