Maskenspiel
und höher. In Katinkas Ohren rauschte es. Sie presste ihren Rucksack an sich und starrte zu Boden. Die stoppelkurzen Haare waren über und über mit schwarzem Blut verklebt.
»Henry Wewerka«, flüsterte Katinka. Das Entsetzen schien sie einen Augenblick lang mitzureißen, aber da legte der Arzt die Plane schon wieder sorgsam an Ort und Stelle. Er nickte Katinka zu und fragte halblaut:
»Brauchen Sie was?«
»Nein, danke«, antwortete Katinka. Irgendwas kam ihr ganz seltsam vor, aber sie konnte nicht ausmachen, was. Sie blieb einfach stehen und schaute auf die groteske Szenerie. Frau Försts penibel geführtes Sekretariat war ein Tatort geworden. Mit Blutflecken, Überbleibseln der Spurensicherung und einem griechisch aussehenden Arzt. Wahrscheinlich war sie wegen der Unordnung zusammengebrochen.
»Also, Sie meinen, zwischen 19 und 21 Uhr gestern Abend, Dr. Wenzinger?«
»Ja«, antwortete der Arzt. Plötzlich hackte niemand mehr auf Katinka herum, und keiner meckerte sie an, sie solle sich aus dem Staub machen. Vielleicht macht ein Schock ja unsichtbar, dachte Katinka erstaunt.
»Er wurde mit einem schweren Gegenstand erschlagen. Wahrscheinlich war er sehr schnell tot, zumindest gleich bewusstlos. Ich kann nur drei oder vier Schläge auf seinen Kopf feststellen. Auf seinen Hinterkopf übrigens.«
»Tatwaffe?«
»Irgendwas Schweres mit einer scharfen Kante, aber warten Sie bitte die Obduktion ab.«
»Es war mein Briefbeschwerer«, hauchte eine verzweifelte Stimme.
»Wie bitte?«
Alle starrten auf Anna-Beata Först.
» Frau Först, halten Sie den Mund!«, versetzte Laubach.
Katinka erwachte allmählich aus ihrer Erstarrung, blieb aber ganz ruhig stehen, um die Aufmerksamkeit der anderen nicht auf sich zu ziehen.
»Weil er fehlt. Er steht immer an der gleichen Stelle.«
Wofür Ordnung doch gut ist, dachte Katinka.
»Sie wissen doch, Herr Laubach: Die Messing-Akropolis. Genauer gesagt, der Briefbeschwerer zeigt ja nur den Parthenon-Tempel.«
Auch das noch, eine Akropolis. Katinka spürte voller Grauen den typischen Erschöpfungslachreiz in sich aufsteigen. Bitte nicht, flehte sie zu allen Göttern, bitte nicht, keinen Lachkoller.
7. Kommissarin Johanna Winkler
»So, und jetzt zu Ihnen.« Die Kommissarin musterte Katinka herablassend aus ihren grauen Augen, während sie die Tür des Assistentenzimmers schloss. Alle Personalien waren schon aufgenommen worden. Aber der gestrengen Dame kam es wohl darauf an, einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.
»Wie bitte?«, fragte Katinka gefährlich leise.
»Was haben Sie mit der Sache zu tun?«
»Vielleicht sollten wir einander zunächst einmal vorstellen«, sagte Katinka so ruhig sie konnte. Zorn ballte sich in ihrem Hinterkopf zusammen. Sie ignorierte den Geruch nach Mottenpulver. »Mein Name ist Katinka Palfy. Herr Professor Laubach hat mich gestern engagiert, weil seit einigen Monaten wichtige Dokumente und Dateien an seinem Lehrstuhl verschwinden.«
»Ja. Das hat er mir bereits erzählt.«
»Gut, dann wissen Sie ja Bescheid, Frau …«
»Winkler. Aber Kommissar tuts auch.« Sie sah wütend drein. »Wo waren Sie gestern Abend zwischen 19 und 21 Uhr?«
»Bei meinem Freund«, sagte Katinka. »Eine gewisse Augustina Stingaciu kann das bestätigen, denn sie kam vorbei und brachte uns eine Pizza.«
»Wir prüfen das.«
»Klar.«
Katinka war sich bewusst, dass nur der momentane Ärger über ihr Auftauchen die Kommissarin zu ihrer unfairen Reaktion verleitete. Da ging es um Konkurrenz und darum, die eigene Position als die unanfechtbare darzustellen. Um der aufgebrachten Staatsdienerin ihre Kooperationsbereitschaft zu signalisieren, erzählte Katinka in groben Zügen, womit sie sich am Tag zuvor beschäftigt hatte. »Heute früh rief mich Professor Laubach völlig aufgelöst an und bat mich, herzukommen.«
»Schon ein komischer Zufall, oder? Dass Sie hier Ihre Nase reinstecken, und am Tag danach wird jemand umgebracht.«
»Was glauben Sie denn: Dass ich einen Mörder gedungen habe?«
»Werden Sie mal nicht frech. Ich muss erst noch herausfinden, wie tief Sie in der Sache drinstecken.«
Katinka stand auf und lehnte sich gegen einen der Computerarbeitstische. Durchatmen, befahl sie sich. Gestern hatte sie hier Laubachs Mitarbeiter in die Zange genommen, heute passierte ihr dasselbe. Tatsächlich keine angenehme Situation.
»Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie keinerlei Befugnisse haben, sich in die Morduntersuchungen einzumischen.
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