Maskerade
die Zimmer im Heim täglich saubermachte. Dabei hatten die Mädchen manchesmal ihren Spaß. Sie war nämlich dick und schwerfällig und redete in langen Sätzen, die sie wohl zuweilen selbst nicht richtig verstand, aber ihre eigenen hochtrabenden Worte machten ihr Freude. Das Gelächter, das häufig erklang, war nicht immer ohne verletzende Spitze. Cara seufzte. Primrose war eine Negerin wie sie, und Cara hätte darum die Mädchen hassen müssen, die hinter dem Rücken der Schwarzen feixten. Die menschliche Natur ist jedoch oft schwer zu verstehen. Statt die Mädchen zu verurteilen, richtete Cara ihren Groll gegen Primrose. Sie blamierte nicht nur sich selbst, sondern alle ihre Rassegenossinnen samt Cara und Luke. Irgendwie färbt so etwas ab, spürte Cara. Sie wußte, daß sie überempfindlich war und Primrose Unrecht tat. Man hätte Primrose leicht und schnell ersetzt, sobald sie nicht mehr nach der Pfeife der Weißen getanzt hätte. Sie schämte sich für sich selbst und für Primrose und kam mit sich selbst nicht mehr zurecht. Einst hatte sie gedacht, es sei schwer, mit weißen Mädchen zusammen zu leben, aber nun erkannte sie, daß es noch viel schwieriger war, mit dem eigenen Ich auszukommen.
„Bald ist Halloween “, sagte Liz in ihre Gedanken hinein, „ob es wohl in Philadelphia Schnee geben wird?“
„Ich glaube schon.“
„Ja, ich denke auch, aber mir erscheint Philadelphia so südlich, zumindest, wenn man es mit Massachusetts vergleicht.“
Sie eilten die Stufen des Wohnhauses hinauf, denn sie sahen, daß Post in den Briefkästen steckte. Für Cara gab es einen Brief von einer früheren Schulkameradin und außerdem eine Nummer von Reader’s Digest. Liz zog einen schmalen, weißen Umschlag hervor, in dessen linker Ecke der Name des Hawley-Instituts eingraviert war.
„Cara!“ rief sie aus.
„Was gibt’s?“
„Schau!“ Mit zitternden Fingern streckte sie Cara den weißen Bogen hin. „Da, lies! Ich kann es nicht glauben!“
Cara überflog rasch die maschinengeschriebenen Zeilen.
„... Die Preisrichter halten diesen Entwurf für eine bemerkenswerte und vielversprechende Leistung, zumal sie von einer Schülerin des ersten Semesters stammt... Sie waren besonders beeindruckt von der Einfachheit dieses Modells ....Wir bitten, einen kurzen Lebenslauf bis zum 20. November einzureichen. Die erste Probe für die Modenschau ist auf den 1. Dezember festgelegt worden, die Modenschau selbst findet am 9. Dezember statt.“
„Liz, herzlichsten Glückwunsch!“ rief sie und vergaß ihre sonstige Zurückhaltung. „Das ist ja einfach herrlich! Man hat dein Modell ausgewählt!“
Liz strahlte. „Es gibt doch noch Überraschungen! Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß es soweit kommen würde, als ich meine Zeichnung einreichte. Und ich hatte keine Ahnung, wie wichtig ich die Geschichte nehmen würde!“
„Ich habe gehört, daß nur fünfundzwanzig Kleider gezeigt werden. Es ist also wirklich eine Ehre, Liz.“
„Wo ist Penny? Wir müssen Penny finden!“ Liz stürmte die Treppe hinauf und schwenkte den Brief wie eine weiße, knisternde Fahne vor sich her. „Penny! Penny!“
Melanie steckte den Kopf zu der Tür heraus. „Ich glaube, Penny ist nicht daheim. Wo brennt’s denn?“
„Die Modenschau...“, keuchte Liz atemlos, „man hat mein Kleid angenommen!“
„Gratuliere!“ Melanie schüttelte Liz die Hand und fügte dann eilig hinzu: „Ich werde es vorführen, abgemacht?“
„Nein, Melanie“, bestimmte Liz ernst, „das kann ich nicht tun. Es ist schließlich Pennys Kleid, das weißt du.“
„Sei nicht albern, Liz! Wer hat es denn entworfen? Du!“
Liz schüttelte energisch den Kopf. „Es tut mir leid, Melanie, aber dabei bleibt’s . Es wäre einfach nicht recht.“
„Nicht recht?“ Melanies Lippen wurden zu zwei schmalen Strichen. „Nun mach mal nicht auf rührselig! Willst du etwa keinen Eindruck mit deinem Modell machen? Wenn du es Penny vorführen läßt, wird es nicht einmal bemerkt werden, sofern sie nicht stolpert und der Länge nach hinfällt. Das könnte immerhin leicht passieren!“
Liz stieg der Zorn ins Gesicht, aber sie beherrschte sich. „Es tut mir leid“, bekräftigte sie und schüttelte den Kopf. Sie standen sich gegenüber, jeder auf seiner Seite des Flurs, und nur ihre Blicke sprachen. Cara dachte, daß, wären die beiden zehn Jahre jünger gewesen, Melanie bestimmt wie eine Furie Liz in die Haare gefahren wäre. In ihren Augen glühte die Wut.
„Du
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