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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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Haare wie ich, doch keiner scherte sich drum, denn sie war schön wie ein Engel, da konnte sie auch ruhig ein Spaghettifresser sein. Außerdem waren Italiener besser als Araber angesehen. In Italien machten die Deutschen Urlaub, dort gab es schöne Menschen, Strand, Sonne und Pasta. Italiener waren rassig, Araber hässlich, Italiener waren gebildet und begabt, Araber schmutzig und dumm. Es gab nun mal Ausländer und Ausländer, einmal die Beliebten, einmal die Unbeliebten. Bevor ich antworteten konnte, war sie auch schon wieder verschwunden. »Du bist talentiert«, dachte ich stolz und lächelte, an den Zusatz »nicht sehr helle« dachte ich gar nicht mehr. Baba schimpfte wieder mit mir, weil ich voller Matsch war, und sagte zu Mama: »Mit dem stimmt irgendwas nicht, der kommt immer mit schmutzigen Hosen nach Hause. Und schau mal, was der sich ins Gesicht gemalt hat – der sieht ja aus wie ein brauner Hitler.«
    Mama zischte zurück: »Jetzt lass endlich den armen Jungen in Ruhe!«
    Am Abend rief mein Lehrer bei uns zu Hause an. Ich wusste, dass mir nichts Gutes blühte. Wenn Lehrer zu Hause anriefen, blühte einem nie etwas Gutes. Lehrer nervten mich, sie riefen nie an, um etwas Nettes über ihre Schüler zu sagen.
    Baba sagte: »Aha, hm, okay, Nacht.« Ich betete zu Gott, dass er nichts verstanden hatte, doch als er den Hörer auflegte, pochte auf seiner Stirn schon die böse Ader. Er zerrte mich in die Küche und drehte den Schlüssel. Ich hasste verriegelte Türen, sie deuteten immer darauf hin, dass einer mit einem anderen etwas tat, was keiner sehen durfte.
    »Einen Nichtsnutz habe ich erzogen!« Der Gürtel schnalzte auf meiner Haut. »Dafür arbeite ich also den ganzen Tag!« Ein weiterer Hieb, der mir die Tränen in die Augen trieb.
    »Bitte, Baba …« Für einen kurzen Moment hielt er die Gürtelschnalle fest und sah mich an, der Ausdruck in seinen Pupillen ließ mich zu Eis gefrieren. Flehend blickte ich zu ihm hoch, doch er holte aus und schlug erneut auf meine wunden Finger. Ich traute mich nicht, die Hand wegzuziehen, zu groß war die Angst, dass er mir mit dem Gürtel ins Gesicht schlug. Wenn Baba mich schlug, rührte ich mich nie und versuchte nie auszuweichen. So hatte er es mir beigebracht. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich diese Lektion gelernt hatte. Ich war vier Jahre alt. Mama hatte arabischen Kaffee gekocht, und immer wenn Mama Kaffee kochte, sang sie:
    »Der Kaffee muss heiß sein wie die Küsse eines Mädchens am ersten Tag, süß sein wie die Nächte in ihren Armen, und schwarz sein wie die Flüche der Mutter, wenn sie es erfährt.«
    Ich griff nach den Zuckerwürfeln auf dem Tisch und stieß den heißen Kaffee um, der sofort unseren kamelfarbenen Teppich mit schwarzen Flüchen zudeckte. Baba packte mich am Nacken und drückte mein Gesicht in die nasse Stelle wie einen Welpen, dem ein Malheur passiert war.
    Ich drehte mich hin und her, zeigte dabei eine unglaubliche Widerspenstigkeit und schaffte es, mich aus seinem Griff zu befreien. Ich wollte gerade wegrennen, als er mich am Fuß packte und ich vorne über auf die Tischkante fiel. Meine Nase schwoll an, ich heulte Rotz und Blut. Doch Baba zeigte kein Mitleid, sah mich scharf an und sagte: »Wenn du dich wehrst, wird alles noch schlimmer.« Ich schluckte meine Tränen herunter. Heute denke ich, dass an jenem Tag eine entscheidende Weiche für das gestellt wurde, was mir Jahre später zustieß.
    Meine Hände fühlten sich taub an. Immer und immer wieder versetzte er mir schmerzhafte Hiebe.
    »Ich bin nach Deutschland gekommen, damit ihr nicht hungern müsst, ein gutes Leben habt, eine vernünftige Ausbildung machen könnt und zu guten Menschen werdet.« So gut wie du, dachte ich, biss mir aber auf die Zunge, bevor der Gedanke meinen Mund verlassen konnte. »Und dann diese Schande, nicht nur, dass du ein nutzloser Taugenichts bist – du bist auch noch ein Rassist, wegen Menschen wie dir nimmt der Krieg in Palästina kein Ende!« Ich war acht Jahre alt und wusste nicht, was ein Rassist war. Es musste etwas mit schwarzem und weißem Brot zu tun haben, und es war ein schlimmes Wort, mit dem man schlimme Menschen beschrieb, denn nur schlimme Menschen konnten an Kriegen schuld sein. Ich schloss die Augen, bevor er ein weiteres Mal ausholte, um mir den letzten Hieb zu verpassen.
    »Eine Schande …« Er rümpfte die Nase, wie vor etwas besonders Ekligem, schloss die Küchentür auf und ging raus. Meine Mutter kam ihm

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