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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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Propheten Ibrahim, der so sehr in Gott vertraute, dass er bereit war, seinen über alles geliebten Sohn Ismail zu opfern. Allah erkannte Ibrahims bedingungsloses Vertrauen und verhinderte Ismails Tod, woraufhin Ibrahim und Ismail voller Dankbarkeit Allah einen Widder opferten. Seither gedachten Muslime aller Welt unserem Propheten, indem sie für das Opferfest ein Tier schlachteten, den Verwandten etwas vom Fleisch schenkten und es unter den Armen verteilten. Mama putzte die Wohnung, denn für gewöhnlich bekam man nach Ende der Fastenzeit Besuch von den Verwandten, um gemeinsam das Fest des Fastenbrechens zu feiern. Ich wusste nicht, wozu Mama putzte, wir bekamen nie Besuch. Es gab nur Baba, Mama, Amani und mich, wer sollte uns schon besuchen kommen? Mama bügelte mein Hemd, für das sie fünf Monate gespart hatte, und putzte meine Schuhe, denn an diesem Tag zog man seine schönsten Kleider an. Ich wusste nicht, wofür ich besonders schöne Kleidung anziehen sollte, wenn wir nirgendwohin gingen und uns niemand besuchen kam. Mama und Baba hatten den ganzen Monat gefastet; Mama meinte, Fasten reinige Körper und Geist. Baba hatte an diesem Tag gute Laune. Ich hörte seine gedämpfte Stimme aus dem Bad, er sang alte arabische Volkslieder. Mein Vater sang nur, wenn er gute Laune hatte, das kam vielleicht zweimal im Jahr vor. Die ganze Familie bemühte sich, diesen Tag so schön wie möglich zu gestalten, denn Baba hatte meist schlechte Laune. Mein Vater kämmte sich das störrische Haar und meinte, wir hätten uns ein vernünftiges Festmahl verdient. Es war ein wichtiger Tag, und wir sollten uns ordentlich die Bäuche vollschlagen.
    Er nahm mich mit zum Schlachter. Dabei hasste ich tote Tiere und den Gestank rohen Fleisches, aber ich sagte nichts – Babas Gute-Laune-Tag wollte ich nicht vermasseln. Der Schlachter war ein dicker glatzköpfiger Pakistaner, der jedes Mal chrr machte, wenn er lachte – es hörte sich an, als würde ein Ferkel gerade ersticken. Er brachte uns zu einem Stall mit Schafen.
    »Nehmt das fetteste Schaf, der Junge ist dünn wie ein Zahnstocher, chrr .« Er zeigte auf ein perlweißes Schaf in der Gruppe. »Dieses Schaf ist ein gutes Schaf. Dieses Schaf hat einen netten Charakter, chrr .« Sein dicker Bauch bewegte sich wie Wackelpudding. Ich konnte nur erahnen, wie viele Schafe er in seinem Leben schon verschlungen hatte. Bei dem Gedanken, ein nettes Schaf zu essen, wurde mir mulmig zumute.
    »Baba, die tun mir leid.« Wie würde ich mich wohl fühlen, wenn mich jemand schlachten wollen würde, nur weil ich einen netten Charakter hatte? Ich zog an Babas Ärmel, er stieß mich genervt zur Seite.
    »Jetzt reiß dich zusammen.«
    »Ich will kein nettes Schaf essen.« Baba stöhnte entnervt, und der Pakistaner machte chrr . Seine weiße Metzgermütze fiel herunter, und er präsentierte einen entblößten kahlen Schädel.
    »Dann nehmt dieses Schaf. Dieses Schaf hat einen schlechten Charakter. Es beißt, ist laut und frisst den anderen das Futter weg. Böses Schaf, chrr .« Das Schaf kaute friedlich auf einem Grashalm herum, es sah gar nicht aus wie ein böses Schaf, aber das war mir auch egal. Mir war der Appetit auf flauschige Schafe vergangen.
    »Gut«, sagte Baba. »Wir nehmen das Schaf mit schlechtem Charakter.«
    »Gute Wahl – alles helal, chrr .« Der Pakistaner schob den Riegel hoch, und die Schafe wurden unruhig.
    »Können wir nicht lieber Falafel essen?«, fragte ich zögerlich.
    »Ruhe jetzt, du Weichei!« Babas böse Ader pochte, und ich wich zurück. Das hatte ich mal wieder gut hingekriegt, Babas Gute-Laune-Tag zu zerstören. Der Schlachter nahm das böse Schaf, mit besonders weich aussehender Wolle, packte es an Vorder- und Hinterbein, das Schaf machte määh , die anderen Schafe machten määh . Vielleicht wussten sie, dass sie einen Bruder oder eine Schwester verlieren würden, dachte ich mir. Am liebsten hätte ich mich vor das blökende Schaf geworfen, aber Babas böse Ader verschwand allmählich wieder; ich beschloss, es für heute gut sein zu lassen. Der Schlachter legte das Schaf auf den Boden und sagte ein Gebet auf. Das böse Schaf blieb, seinem Schicksal ergeben, ruhig liegen, vielleicht wusste es, dass es ein Opfer bringen würde. Dann schnitt der Pakistaner ihm die Kehle durch, das Tier zuckte, ich vergrub mein Gesicht in Babas Jacke, er stieß mich beiseite: »Du Weichei!« Wir warteten einige Minuten, bis das Schaf ausgeblutet war und endlich nicht mehr zuckte. Ich

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