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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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neugeboren – hätte ich vorher gewusst, wie einfach es war, Schwester Birgitta loszuwerden, dann hätte ich ihr die Suppe viel früher ins Gesicht geschüttet – am liebsten noch mit meiner Galle drin. Man musste sich nur wehren, dachte ich mir, dann wurde man in Ruhe gelassen.
    »Was ist bloß in dich gefahren?«, schimpfte Mama mit mir. Ich gab keine Antwort.
    »Wie konntest du nur einer Nonne – einer Dienerin Gottes  – heiße Suppe ins Gesicht schütten? Bist du noch bei Trost?« Mamas Stimme bebte, doch ich blieb ruhig.
    »Wie konntest du nur sagen, dass sie dir den … ich kann das gar nicht aussprechen.« Ich kicherte.
    »Einer Nonne  …« Mama schüttelte den Kopf. Ich bemühte mich, einen Lachkrampf zu unterdrücken.
    »Du findest das auch noch lustig?« Meine Mutter war von dem, was ich getan hatte, so schockiert, dass sie sich am selben Abend mit Baba beriet. Wenn Mama mit Baba ihre Sorgen teilte, musste sie schon sehr verzweifelt sein. Baba schrie, ich sei ein respektloser Hmar und habe eine ordentliche Tracht Prügel verdient. Als ich seine Worte hörte, ging ich ins Wohnzimmer und stellte mich direkt vor meinen Vater.
    »Komm, schlag mich doch«, forderte ich ihn selbstbewusst, mit herausgestrecktem Brustkorb, auf.
    »Treib es nicht zu bunt«, ermahnte mich mein Vater.
    »Treib du es mal nicht zu bunt«, provozierte ich ihn weiter. Mama hatte vor Erstaunen die Hand auf den Mund gelegt, weil sie mich noch nie so erlebt hatte. Baba starrte mich an, dann holte er aus, doch ehe seine Handfläche auf meine Wange prallen konnte, bückte ich mich, und Baba verpasste der Wand eine schallende Ohrfeige. Er brüllte vor Schmerzen, hielt sich die Hand fest, während ich mich vor Lachen krümmte, denn es machte mir plötzlich Spaß zu sehen, wie Menschen, die mir wehtun wollten, sich selbst wehtaten. Baba schaute entsetzt und war sprachlos – ich hatte zum ersten Mal eine Reaktion gezeigt.
    Bei dem Anblick meines Zeugnisses verkniff sich Baba sogar einen boshaften Kommentar – immer dasselbe zu sagen, wurde auf Dauer auch langweilig. Mama trocknete das Geschirr ab und meinte: »Naja, vielleicht wird aus dir ja doch noch irgendwas .« Dann polierte sie den Teller so lange, bis man sich darin spiegeln konnte.
    »Was tut ein Irgendwas?«, wollte ich wissen. Mama legte den Teller zurück in die Spüle und seifte ihn ein. Sie schrubbte ihn so intensiv mit dem Schwamm, dass man das Gefühl bekam, sie würde die Spuren eines Verbrechens beseitigen wollen.
    »Na, irgendwas .« Ich ließ die Luft langsam in meine Backen gleiten, bis ich aussah wie ein Kugelfisch, dann ließ ich sie wie aus einem Ballon entweichen und versuchte, dabei so laut wie möglich zu sein, um meinem Missmut besonderen Ausdruck zu verleihen.
    »Ich will aber nicht irgendwas sein.«
    »Dann sei eben was anderes.« Mama hielt den Teller gegen das Licht, entdeckte einen unsichtbaren Fleck und wischte wieder mit dem Tuch drüber. Das tat sie immer, sie wusch ständig sauberes Geschirr und machte mich damit wahnsinnig.
    »Machen du und Baba auch irgendwas?«
    »Ja.«
    »Macht irgendwas machen Spaß?«
    »Nein.«
    »Warum hörst du dann nicht damit auf?«
    »Na, irgendwas muss man doch machen.«
    »Warum?«
    »Irgendwie muss man Geld verdienen.«
    »Warum tust du nicht etwas, das Spaß macht, um Geld zu verdienen?«
    »Ohne einen Schulabschluss ist das nicht so einfach. Das wirst du noch früh genug verstehen, mein Sohn, ja, noch früh genug …« Mama stieß einen verzweifelten Seufzer aus und widmete sich wieder ihrer persönlichen Aggressionsbewältigung. Sie griff nach dem Glasreiniger, sprühte den Teller ein und wischte mit einem Papiertuch drüber. Endlich verstand ich, woher der seifige Beigeschmack im Essen kam. Ich ertrug diese Wischerei nicht mehr.
    »Mama, der Teller ist sauber!« Am liebsten hätte ich ihr den Teller aus der Hand gerissen und gegen die Wand geschleudert.
    »Vergreif dich nicht in deinem Ton«, mahnte Mama halbherzig und stellte den Teller endlich in den Schrank zurück.
    »Ich will nicht irgendwas werden, Mama.«
    »Dann streng dich an, es ist noch nicht ganz zu spät.«
    Nein, ich wollte nicht irgendwas werden, sondern Musiker, Manager, Sportler, Millionär oder Börsenmakler. Es sollte etwas sein, das sich gut anhörte, wenn man es aussprach.
    »Ich bin sportler!«, hörte sich gut an. Das rief man stolz in die Welt hinaus, während man »Ich bin irgendwas« versuchte, unter den Teppich zu nuscheln. Zum Arsch

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