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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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sich über Miracs Tod freuen: sein Vater, der nun endlich ohne schlechtes Gewissen das gesamte Geld vom Amt versaufen konnte, eine Menge Nachbarskinder, die jahrelang von Mirac malträtiert worden waren, ja selbst die schäbige Katze Luci, die Mirac ständig anfiel, kratzte und anfauchte, weil sie ihm nicht verzeihen konnte, dass er ihr an Silvester einen Feuerwerkskörper in den Hintern gesteckt und angezündet hatte. Kaum war die Katze auf dem Katzenklo, rief mich Mirac und kräuselte sich vor Lachen, weil Luci einen wahrhaft gequälten Gesichtsausdruck an den Tag brachte. Mirac stand eben mit jedem auf Kriegsfuß. Außer mir würde ihn wohl niemand vermissen. Ich versprach Mirac, mich um einen leuchtenden Sarg und darum, dass alle seine Poster, Zeitschriften und Bücher mit ihm zusammen beerdigt werden würden, zu kümmern.
    In dieser Sekunde riss Mirac seine blassblauen Augen auf und starrte mich an. Ich wich zurück. Bei dem Anblick blieb mir fast das Herz stehen, es war wie in einem Zombiefilm.
    Mirac öffnete den Mund.
    »Jahu!«, rief er aus. Jahu? Dieser Junge hatte sich aufgehängt und war metertief gefallen – und alles, was ihm einfiel, war Jahu? Vor Wut verpasste ich ihm eine Ohrfeige. »Beruhig dich, war doch nur Spaß«, meinte er bloß. Er sprang auf, schüttelte sich, klopfte sich die Blätter von den Klamotten und schnappte nach seinem Akkuschrauber. Eine ganze Weile sah ich Mirac an, ohne ein Wort zu sagen. War das geplant gewesen, oder war sein Plan, sich umzubringen, in die Hose gegangen?
    »Du Arschloch! Mach das nie wieder, ich hab mich zu Tode erschrocken!« Er grinste über das ganze Gesicht und hüpfte zufrieden nach Hause. Ich konnte nicht fassen, was geschehen war. Einerseits war ich wütend, andererseits glücklich, dass er noch am Leben war.
    »Geh schlafen und denk dran, morgen ist Sonnenfinsternis, und ich bin mir sicher, dann werden sie kommen.«
    »Am Arsch werden sie kommen!« Ich zeigte ihm den Stinkefinger und ging rein. Er lachte und rief mir hinterher: »Vier Mal bin ich knapp dem Tod entkommen. Ich sag doch, die da oben haben ein Auge auf mich.«
    Spätestens als mir mein Lehrer das Zeugnis in die Hand gedrückt und gesagt hatte, es würde gerademal so für die Hauptschule reichen, wusste ich, aus mir würde kein Professor werden. Niemand aus meiner Familie war von dieser Nachricht sonderlich erschüttert. Das Gute daran, wenn keiner etwas von einem erwartet, ist, dass man niemanden enttäuschen kann. Schwester Birgitta hatte mich aus dem Nardinihaus geworfen, und meine Eltern gaben die Versuche, einen Musterschüler aus mir zu machen, auf. Eine Woche nachdem Tony gestorben war, teilte Schwester Birgitta Suppe mit Schweinefleischstücken in der Runde aus. Ich schob den Teller weg und giftete, sie könnte sich ihre Schweinesuppe sonst wohin stecken. Schwester Birgitta wurde zornig, zerrte mich aus dem Raum und brachte mich in ein Einzelzimmer. Sie knallte mir den Suppenteller auf den Tisch, der dickflüssige Brei schwappte über, sodass sich einige Fleischstücke auf dem robusten Holztisch verteilten. Als ich Schwester Birgitta genauer ansah, überlegte ich mir, ob sie aus dem Grund Nonne geworden war, um ungestraft wehrlose Kinder quälen zu können.
    »Du wirst hier so lange sitzen bleiben, bis du den letzten Tropfen abgeleckt hast«, ermahnte sie mich, und in ihren Augen war so viel Bitterkeit und Boshaftigkeit, dass ich mit ihr Mitleid bekam, anstatt sie zu fürchten.
    »Lecken Sie mir doch den Hintern – schmeckt bestimmt besser als Ihre Suppe«, antwortete ich und kicherte dabei, weil ich einer Nonne soeben gesagt hatte, sie könne mich mal.
    Schwester Birgitta schlug mir in den Nacken – und dann sah ich rot. Ich spürte wieder diese Mordswut in meinem Bauch, ich griff nach dem Suppenteller – und ehe die Nonne reagieren konnte, hatte sie schon heiße Suppe im Gesicht. Sie schrie und sprang herum wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten hatte. Sie hielt sich das verbrannte Gesicht fest und schrie: »Jesus Maria, in diesem Jungen steckt der Teufel!« Dann rannte sie aus dem Zimmer, und ich lachte schadenfroh. Eine Stunde später kam meine Mutter, um mich abzuholen. Sie sah gar nicht glücklich aus, weil sie extra dafür ihren Arbeitsplatz verlassen musste. Schwester Birgitta erteilte mir lebenslanges Hausverbot, und Mamas Gesicht bekam eine neue, mir völlig unbekannte Farbe, als sie hörte, was ich angestellt hatte. Ich hingegen fühlte mich wie

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