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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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in Verlegenheit bringen konnte, heute erinnerte sie mich nur noch an einen kleinen, kläffenden Chihuahua.
    »Lass uns essen gehen«, versuchte ich einzulenken.
    » Ach, wir gehen essen.« Sie betonte das ach, und ich wusste, am liebsten hätte sie »Wir gehen doch sonst nie essen« hinzugefügt. Wir gingen ein Stück, ich beschloss, nicht zu streng mit ihr zu sein, immerhin war sie Bella, das Mädchen, mit dem ich meinen ersten Kuss, mein erstes Mal, meinen ersten Streit und die erste Versöhnung gehabt hatte, und ich war der Junge, mit dem sie ihre ganzen ersten Male hatte. Sie hatte zu mir gehalten, obwohl mich weder ihre Mutter noch ihre Schwester und noch nicht einmal ihre Freundinnen leiden konnten. Sie sprach mir immer gut zu und versuchte mich krampfhaft auf den rechten Weg zu bringen. Doch dieser verbissene Unterton in ihrer Stimme und diese chronischen schnippischen Bemerkungen, die nach Bitterkeit, langen Aufenthalten in der Universitätsbibliothek und zerronnenen romantischen Fantasien schmeckten … und dann dieser merkwürdige Geruch, sie roch ständig nach Nüssen – Erdnüssen, Walnüssen und manchmal auch Rosinen –, nur weil sie studierte, musste sie doch nicht wie eine Packung Studentenfutter riechen … und diese Frisur – wieso kämmte sie sich nie die Haare? Wir gingen schweigend nebeneinander her, die Stimmung zwischen uns war angespannt wie ein Trampolin. Als wir vor der rot-gelben Reklametafel stehen blieben, sah mich Bella an – und da war ein Gefühl in ihrem Blick, das ich zuerst nicht deuten konnte. Hass, Wut, Enttäuschung oder eine Mischung aus allen dreien?
    »McDonald’s? Bist heute besonders großzügig«, sagte sie und ging voraus.
    »Was willst du essen?«, fragte ich drinnen.
    »Ich hätte gerne das Coq au vin «, antwortete sie mit einer gespielten hohen Stimme.
    »Was?«
    »Ein Big-Mäc-Menü!«, keifte sie zurück. Und ich fragte mich, ob Bissigkeit eine italienische oder eine deutsche Eigenschaft war. Dieses Schlaumeiergetue, ich studiere medizin und bin deshalb superhochgebildet, meniskusknochen hier, Coq au vin da. Zum Arsch mit Coq au vin!
    Wir setzten uns, Bella griff in ihre Pommes-Tüte und betrachtete viel zu lange eine labbrige Fritte, die sie wie ein schlaffes Glied in ihrer Hand hielt.
    »Und wie schmeckst?«, erkundigte ich mich – ein zaghafter Versuch, die Stimmung zu lockern.
    »Wie ein Big Mäc.«
    Isabella nervte. Ihre besserwisserische Art nervte, ihr mürrischer Humor nervte, ihre Frisur nervte, und als sie in den Burger biss und ein fettiger Kleckser Soße aus ihrem Mund lief, fand ich, es war an der Zeit, dieser trostlosen Beziehung ein Ende zu setzen. Was hielt mich überhaupt noch bei ihr? Statt zusammen um die Häuser zu ziehen, spielten wir Brettspiele, statt Sex zu haben, schauten wir Fernsehen, statt miteinander zu reden, stritten wir. Die Gespräche und Treffen waren nur noch mechanische Abläufe, die wir zwanghaft durchgingen, weil sie zur Gewohnheit geworden waren. Gewohnheit  – der Anker, der einer aus dem Ruder gelaufenen Beziehung noch gewisse Stabilität gab. Gewohnheiten loszuwerden konnte sich als wahre Mutprobe erweisen, denn sie bieten uns Sicherheit, sie können uns einlullen wie eine warme Decke an kalten Wintertagen. Bella hatte häufig versucht, unserer Beziehungsleiche neues Leben einzuhauchen. Sie suchte immer wieder nach Lösungen, Gesprächen und Möglichkeiten, mich zu bändigen. Ein Mann ist aber eben ein Mann, und ist der Reiz erst verflogen, schwinden auch alle Treuegelübde dahin. Unter dem strubbeligen Haar, dem Geruch von gesalzenen Erdnüssen, der unreinen Haut, den demonstrativ zur Schau getragenen scheußlichen Klamotten, dem zynischen Gerede und der gespielten Gleichgültigkeit steckte ein hübsches Mädchen mit einem starken Charakter.
    Vielleicht war ich nicht ganz unschuldig daran, dass sie sich wie eine Schnecke in ihrem Haus verkrochen hatte, aber ich war viel zu faul, viel zu desinteressiert und entdeckte lieber neue Ufer, anstatt das alte neu zu erkunden.
    Einmal traf ich eine dunkelhaarige Brasilianerin mit einem langen, strengen Gesicht und aufgeblasenen, schlauchbootartigen Lippen. Sie arbeitete als Nackttänzerin in Hamburg und besuchte ihre kranke Großmutter in Pirmasens, wo sie auch aufgewachsen war und bis zu dem Tag, an dem sie einen schmierigen Zuhälter aus Hamburg kennengelernt hatte, auch lebte. Er hatte Geld und konnte lügen wie ein verdammter Politiker, erzählte sie mit ihrer

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