Massiv: Solange mein Herz schlägt
mit ihr essen und dann auf ein Zimmer gehst. Als würdest du dich richtig um sie bemühen.«
»Das war nur eine Imbissbude.«
»Ist doch ganz egal, du blöder … treuloser … du kannst es einfach nicht lassen. Egal wie oft ich dich erwische – du machst einfach weiter.« Bella warf mit dem vollgeschnieften Taschentuch nach mir, ich duckte mich schnell.
»Es tut mir leid, das hat nichts mit dir zu tun.«
»Woran liegt es dann?« Bella wischte sich mit dem Ärmel über ihre Nase.
Wenn Frauen weinen, wirken sie süß und mitleiderregend, wenn Frauen heulen, verwandeln sich auch zarte Gesichtszüge in angsteinflößende Fratzen.
»Ich kann doch nicht jeden Tag Spaghetti essen.« Noch während diese Worte meinen Mund verließen, biss ich mir auf die Zunge. Einen schlechteren Satz zu einem schlechteren Zeitpunkt hätte ich nicht loslassen können.
»Was? Denkst du, ich will jeden Tag Falafel essen, wer will das schon? Wer will schon jeden Tag Falafel essen?«
»Sag das nie vor meinem Vater«, witzelte ich. Isabella warf mir einen vernichtenden Blick zu.
»Warum musst du mir auch andauernd hinterherspionieren?« Ich versuchte, das Blatt zu wenden, Angriff ist bekanntlich die beste Verteidigung.
»Ich war nur zufällig hier!«
»Jaja, du bist immer zufällig da, wo ich gerade bin.«
»Ach, jetzt bin ich auch noch schuld?«
»Nein, aber du führst dich auf wie ein Staatsanwalt.«
»Wenn ich ein Staatsanwalt bin, dann bist du der dümmste Verbrecher der Welt.« Sie seufzte, und ihre Stimme hatte einen rührenden, verzweifelten Klang.
Bei dem Gedanken daran, wie viel ich Bella in den letzten Jahren eigentlich zugemutet hatte, tat sie mir wieder leid. Sie nahm einen großen Schluck von ihrer Cola light, und ich fand, es sei nicht fair, jahrelang ein Mistkerl zu sein und sie am Ende noch in den Wind zu schießen.
»Tut mir leid, Bella. Ich weiß, du hast einen besseren Geburtstag verdient.« Sie blickte hoch, und der Groll aus ihren Augen war wie weggeblasen.
»Schon gut«, sagte sie leise. Ich zog sie näher an mich heran und mich überkam ein fast brüderlicher Beschützerinstinkt.
»Weißt du, wenn ich nicht wüsste, dass unter dieser miesen Oberfläche etwas Gutes steckt, hätte ich dich schon längst in die Wüste geschickt«, schluchzte sie, und ich wischte ihr eine tautropfenförmige Träne aus dem Gesicht.
»Nächste Woche führe ich dich richtig aus – das verspreche ich dir.«
Ich hielt mein Versprechen nicht, denn einige Tage später bekam ich einen Anruf, der mein Leben in eine andere Bahn lenken sollte.
KAPITEL 9
Eine neue Haut
Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.
Aristoteles
Pirmasens grenzte vielleicht an Frankreich, doch vermutlich war der Wind nicht stark genug, um etwas von der Pariser Lebenslust herüberzuwehen. Statt von Künstlern und Denkern wurde die Stadt von Kleinmut und Trott bewohnt. Das Nachtleben bestand nicht aus ausschweifenden Partys, auf denen gut gekleidete Frauen und Männer Champagner tranken und zu geschmackvoller Musik tanzten. Sofern man hier überhaupt von einem Nachtleben sprechen konnte, bestand dieses aus stockbetrunkenen Teenagern, die sich vor abgewirtschafteten Kneipen den billigen Supermarktwodka aus den Leibern kotzten. Von Sehenswürdigkeiten wie dem Eiffelturm und den Champs-Élysées ganz zu schweigen. Die einzige Attraktion, die es in dieser Stadt ab und zu gab, war ein Zirkus, der seine kranken und verwahrlosten Tiere präsentierte. Ein nüchterner Blick auf diese Kleinstadt, die weder positiv noch negativ auffiel, konnte Zukunftsaussichten trüben wie Zigarettendunst. Angesichts dieser Realität kam alles, was die Wirklichkeit, naja, veränderte, ganz recht.
Drei Jahre nach meinem Unfall hatte ich eine neue Verdienstmöglichkeit ins Auge gefasst und mich umorientiert – von Fußball auf lsd. Nur des Geldes wegen – ein Mann ohne Ausbildung und Qualifikationen brauchte Geld, um nicht am Ende auf der Straße zu landen oder bei seinen Eltern alt zu werden. Letztendlich taten alle alles nur des Geldes wegen.
Der Obstverkäufer an der Ecke, der Fernsehschauspieler oder der Drogendealer auf der Straße – alle waren sie nur hinter den Scheinen her.
Machmud war mir da weit voraus, er besserte sich seit seinem dreizehnten Lebensjahr das Taschengeld mit Drogenverkäufen auf. Im Gegensatz zu mir und
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