Massiv: Solange mein Herz schlägt
ist doch halb so wild, Mama.«
»Alle reden schon! Sie sagen, dein Sohn ist ein Dieb, dein Sohn verkauft Drogen – damit konnte ich noch leben, aber das «, sie zeigte mit einer abwertenden Geste auf meine Brust. »Damit bringst du mich ins Grab!« Baba hörte Mamas Gekreische und kam in die Küche.
»Was ist hier los?«
» Dein Sohn hat sich tätowieren lassen!«
»Du hast was? Welcher Freund hat dich dazu überredet?«
Ich seufzte. Immer dasselbe, jedes Mal, wenn ich etwas angestellt hatte, schob er meinen Freunden die Schuld in die Schuhe.
»Ich wollte es selbst.«
»Lüg nicht, das war bestimmt dieser nichtsnutzige Zigeuner.«
»Was habe ich bloß erzogen?« Mama griff nach einem Teller und schmiss ihn gegen die Wand. Baba und ich zuckten zusammen. So hatte ich meine Mutter noch nie erlebt. Nicht als ich meinem Schulleiter den Rucksack an den Kopf warf, weil er mich vom Unterricht suspendiert hatte, nicht als ich drei Mal in einer Woche beim Klauen erwischt worden war und Mama mich beschämt vom Polizeirevier abholen musste. Mama war wie von Sinnen und alles nur wegen eines Tigerkopfes.
»Beruhige dich, es ist nicht deine Schuld, seine Freunde üben einen schlechten Einfluss auf ihn aus.« Baba tätschelte meiner Mutter die Schulter und versuchte sie zu beruhigen. Das erste Mal waren meine Eltern sich einig.
»Wie soll ich das nur meiner Familie erklären?«, fragte Mama in einem fast hilflosen Ton. Ich musste unweigerlich grinsen. Immer dieselben Diskussionen.
»Deine Familie lebt im Libanon, was willst du ihnen erklären?«
»Du findest das auch noch lustig, du ungezogener Bengel? Hör auf zu grinsen, ich schwöre dir, sonst werfe ich den nächsten Teller gegen deinen Holzkopf!«
»Es ist eine Schande«, stimmte Baba in das Gemisch aus Jammern und Anklagen ein. Mama nickte, Baba nickte. Auf einmal waren meine Eltern ein Herz und eine Seele. Sonst kämpften sie nur gegeneinander, zum ersten Mal hatten sie sich zusammengetan, um gegen mich zu kämpfen.
»Mach es ab«, forderte Mama mich auf.
»Wie soll ich es abmachen?«
»Lass es dir rausoperieren.«
»Dann bleibt aber eine Narbe.«
»Ist mir egal, mach es ab, oder ich werde es dir mit einem Küchenmesser rausschneiden!«, kreischte Mama.
»Wenn du auf die Idee kommst, so etwas noch einmal zu machen, schmeißen wir dich raus!«, rief Baba, und beide nickten. Ein halbes Jahr später ließ ich mir einen Drachen auf die andere Brusthälfte und einen Stier auf den rechten Arm tätowieren.
»Alles Gute zum Geburtstag.« Ich drückte Bella ein geschmackloses Armband, das ich auf dem Weg an einer Tankstelle gekauft hatte, in die Hand und schielte hoch zu ihrer Mutter, die schnell die Gardinen zuzog.
»Ich habe eine Nickelallergie.«
»Sorry, wusste ich nicht.« Mir fielen die kleinen Mitesser auf ihrer glänzenden Nase auf. Ihr Haar, weder richtig lockig noch richtig glatt, hatte nach jahrelanger Achtlosigkeit jede Struktur verloren und hing ihr fade ins Gesicht. Sie schnaubte, pustete erneut eine Strähne aus dem Gesicht und machte mich damit aus irgendeinem Grund wütend. Wieso hatten Traumfrauen die furchtbare Angewohnheit, sich in schnöde Realität zu verwandeln, wenn man ihnen näherkam? Wieso konnten sie nicht anmutig, schön, witzig sein und nach Rosen duften, wenn sie morgens aufwachten, anstatt sich klebrigen Schlaf aus den Augen zu reiben und miese Stimmung zu verbreiten? Ich-habe-eine-Nickelallergie, Warum-gehen-wir-nie-raus, Du-hast-das-Interesse-an-mir-verloren, Du-kümmerst-dich-nicht-um-mich – ich konnte diese Klagelieder rauf und runter singen. Wie sollte ich Interesse an einer Frau haben, die das Interesse an sich selbst schon längst verloren hatte? Dann bekam ich ein schlechtes Gewissen, diese ganze Abneigung in mir … ich wusste nicht einmal, von wo sie herrührte.
»Jedes Jahr kaufst du mir Schmuck, gegen den ich allergisch bin. Jedes Jahr sage ich: Schatz, ich habe eine Nickelallergie, und jedes Jahr sagst du: Sorry, wusste ich nicht. Wenn du mir schon jedes Mal den billigsten Schmuck kaufen musst, dann bitte ohne Nickel. Kauf mir meinetwegen einen Plastikring oder auch eine Kette aus Süßigkeiten, nur bitte ohne Nickel drin!« Bella presste die Lippen zusammen.
Auch wenn ihr Interesse an sich selbst und an mir in den letzten Jahren abgenommen hatte, schien mir ihre Klappe umso größer geworden zu sein. Früher mochte ich ihr zügelloses Temperament, ihre Schlagfertigkeit und die spitze Zunge, die Menschen leicht
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