Matharis Kinder (German Edition)
Großzügigkeit eines Gastgebers niemals zurückzuweisen. Eine solche Demütigung war undenkbar. Sie hätte den Stolz der Bergbewohner auf das Tiefste verletzt. Und diese armen Menschen hatten nichts mehr außer ihrem Stolz.
So taten die drei Gäste aus Peona, was die Regel der Gastfreundschaft gebot: sie nahmen das Brot und die Äpfel als heilige Gaben in ihre Hände und verzehrten sie ehrfürchtig und voller Dankbarkeit.
Bald zogen sich die Anwesenden auf ihre den Höhlenwänden entlang ausgelegten Schlafplätzen zurück. Die Alte behielt ihren Platz nahe beim verglimmenden Feuer. Sie verschwand einfach in ihrer Hülle aus Fellen und Decken.
Die Meisterin dieser Siedlung ruhte nicht wie es ihrem Alter längst gebührt hätte auf einem Sitz . Ihre Unterlage war ein gewöhnliches Brett. Ein Rätsel, dem die Gäste aus Peona wohl nie auf die Spur kommen würden. Keinem Blumenhüter kam es in den Sinn, einen Gastgeber mit neugierigen Fragen zu belästigen.
Wenige Augenblicke, nachdem der letzte Berg bewohner sich niedergelegt hatte, war die Höhle erfüllt von den Lauten schlafender und hustender Menschen.
Torian lag lange wach. In seinem Kopf jagten sich verwirrende Gedanken und noch verwirrendere Gefühle. Durch seine Seele flatterten die Bilder der von Hunger und Erschöpfung gezeichneten Gesichter der Bergbewohner. Schatten dunkler Vögel, die nirgendwo Ruhe finden konnten.
Sein Körper maß die Zeit dieser Reise nicht mehr in Tagen. Er wanderte einfach weiter und weiter und immer noch weiter. Sein Bewusstsein verschwamm. Seine Füße waren noch immer unterwegs. Wanderten ziellos, sinnlos. Von einer Ewigkeit zur nächsten.
Das Licht des neuen Tages schlief noch tief unter dem Horizont, als die Bergbewohner ihren Schlaf beendeten.
Der jedem Blümenhüter innewohnenden inneren Uhr gehorchend, öffneten sie die Augen. Ein nahezu lautloses Aufstehen folgte. Eiliges Huschen. Das Wimmern eines Kindes, die leise, tröstende Stimme einer Frau. In wenigen Minuten waren alle bereit zum Aufbruch.
Schlaftrunken rieb Torian sich die Augen. Ein leiser Unmut stieg in ihm auf. Wann war ihm das letzte Mal so viel Schlaf gegönnt gewesen, um sich danach wirklich ausgeruht zu fühlen? Es war doch noch mitten in der Nacht! Warum um alles in der Welt sollte er um diese Zeit schon aufstehen? Konnte die Übergabe der Mathari-Samen nicht wenigstens bis zum Tagesanbruch warten?
Leise vor sich hin murrend kroch auch er aus seinem Schlaf fell, tastete nach den Kleidern, machte sich bereit für den Aufbruch.
Wenig später waren die Bergbewohner auf den Beinen. Auch die Alte wurde mitsamt ihrem Brett in die frühmorgendliche Kälte hinaus getragen. Sogar die Kleinen, die noch nicht richtig laufen konnten, saßen auf den Schultern der Väter. Dabei waren die Knirpse bei der Arbeit doch nur im Weg. Wäre es nicht einfacher, sie unter der Aufsicht von einigen Frauen hier zu lassen?
Janael entging Torians Kopfschütteln nicht.
„Das war schon zu meiner Zeit so“, erklärte er seinem jungen Gefährten, „wir sind am sichersten, wenn wir alle zusammen bleiben. Nur zu oft haben uns die Jäger bei unserer Heimkehr aufgelauert. Oder wir fanden unsere Wohnstätten zerstört, wenn wir zurückkamen.“
Der Weg zu den Pflanzungen war weit.
Seit er mit vor Müdigkeit schmerzenden Gliedern aufgestanden war, rumorte in Torians Geist eine unerklärbare Unruhe und Ratlosigkeit. Sie musste mit dem Traum zusammenhängen, den er in der letzten Nacht gehabt hatte. An den Inhalt konnte er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Ungewöhnlich war das. Ein Blumenhüter lernte früh, seine Träume im Gedächtnis zu behalten. Eltern und Lehrer halfen ihm, die darin enthaltenen Botschaften zu entschlüsseln. Doch die Bilder dieses Traumes entzogen sich Torians Bewusstsein. Als hätten sie sich in einer der vielen Kammern der Erinnerungen eingeschlossen. Und nun konnte er an der Türe rütteln, soviel er wollte. Sie blieb versperrt. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis sie sich von selbst öffnete.
Stunden später erreichten sie einen mächtigen Wasserfall.
Schäumend donnerte das Wasser aus schwindeln der Höhe herab, sammelte sich in einem großen Becken, stürzte sich von dort über steile Felswände dem Tal entgegen.
Die feuchtfrische Luft vertrieb die Schwere aus Torians Körper. Seine Grübeleien wehten davon. Tief atmend blieb er stehen. Dann jedoch hielt er vor Schreck den Atem an. Die
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