Matharis Kinder (German Edition)
Schicksal des Letzten Auserwählten kennen, kann unsere Trauer Frieden finden.
DU BIST FREI – frei, zu gehen, wohin dich deine Wege führen, Janael, Gast aus Peona. Unsere besten Gedanken und Wünsche werden dich begleiten, dich und deine beiden tapferen Freunde. Und wir danken euch für die Ehre, dass wir eurem Land dienen durften.“
Ein hörbares Aufatmen ging durch den Raum.
Jene, die dazu in der Lage waren, erhoben sich. Sie legten ihre alten, müden Hände auf ihre alten, müden Herzen. Die weißhaarigen Häupter neigten sich vor dem Schicksal des Mannes, den man den Letzten Auserwählten genannt hatte. Nun gaben sie ihn frei, wie die Alte der Berge es bereits getan hatte.
SIEBEN
Am selben Tag setzten die drei Blumenhüter aus Peona ihre Reise auf dem Karren von Moyna und Barnar fort. Verglichen mit den früheren Fahrten wurden die Passagiere dies mal geradezu komfortabel befördert. In Rücksicht auf Janaels alte Knochen hatten unbekannte Hände die Ladefläche des klapprigen Gefährtes mit Decken und Fellen ausgelegt.
Das dicke Polster ließ das Holpern der Räder zu einem wiegenden, einschläfernden Ruckeln werden.
Torians mit Eindrücken überfüllter Geist begann sich im Kreis zu drehen. Ganz kurz blinkte in ihm eine kleine, verwunderte Enttäuschung darüber auf, dass seine Rolle beim Großen Rat nur aus Sitzen und Schweigen bestanden hatte. Doch die Geschichte des Letzten Auserwählten hatte keiner weiteren Fürsprache bedurft. Aufrecht war er hineingegangen in die Versammlungshalle, aufrecht hatte er auf den Urteilsspruch gewartet.
Ebenso aufrecht hatte er wohl damals, vor dreißig Jahren, auch vor dem Gefängniskommandanten gestanden...
Als hätten sie nur auf ein geheimes Stichwort gewartet, stürzten die durch Janaels Erzählung in seinem Kopf entstandenen Bilder in Torians junges, unerfahrenes Gemüt. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als an die grässliche Landschaft auf dem Körper seines Gefährten. Daran, wie sie ihm zugefügt worden war. Bilder und Töne, für die es in der Sprache eines Blumenhüters keine Wörter gab, quollen in sein Bewusstsein. Er konnte sie nicht wegschicken, konnte nicht aufhören, sich immerzu vorzustellen, wie es gewesen sein musste an jenem von allen Himmeln vergessenen Ort, wo Janael verhört worden war...
Torian hätte schreien mögen. Er spürte, wie seine Augen zu brennen begannen. Heiß lief es ihm aus den Augenwinkeln über die Schläfen. Wegwischen konnte er die Tränen nicht. Dazu war die Last zu schwer, die ihn und seine Gefährten verbarg.
Endlich gelang es ihm, sich von den herzzerreißenden Bildern loszureißen. Nur fand er nichts, was seinem verängstigten, von Entsetzen geschüttelten Bewusstsein Zuflucht bieten konnte. Was er in der Bergsiedlung gesehen hatte, war beinahe ebenso erschütternd. Seit hundert Jahren kämpften die lopunischen Blumenhüter gegen einen übermächtigen Feind. Seit hundert Jahren war dieses gepeinigte Land in einem Albtraum gefangen, in dem die Macht der Finsternis sogar die Zeit zum Stillstand gebracht hatte.
Wie lange konnten die Brüder und Schwestern noch standhalten?
Torian presste die Augen zusammen. Er wollte es gar nicht wissen! Dieser Kampf war nicht sein Kampf. Er wollte nur eines: Heim! Heim nach Peona. Heim zu seinen Eltern, zu den Feldern, Wiesen und Wäldern, die bald zu neuem Leben erwachen würden. Seine Hand tastete nach der Tasche an seiner Seite. Sie war voller Samen. Eine Handvoll verhungernder Brüder und Schwestern hatte sie dem übermächtigen Feind abgetrotzt. Brüder und Schwestern ... Brüder ... Schwestern ... leise und eindringlich, als gelte es, etwas zu verstehen – endlich zu verstehen! – woben sich diese Worte in seine unruhigen Träume...
Noch einmal führten die Schicksalshüter die drei Reisenden zurück zu Moynas und Barnars Haus.
Schwanzwedelnd, vor Freude laut bellend sprang der Hund seinen Menschen entgegen. Er hatte während ihrer Abwesenheit Haus und Hof bewacht. Nun konnte er s ich vor Freude kaum noch halten und sprang wie ein Welpe an ihnen hoch. Auch die Gäste begrüßte er, als wären es alte Freunde.
Barnar holte Holz, um den Ofen anzuheizen. Moyna verschwand in der Speisekammer. Nachdem sie Brot und Käse, sowie fünf Teller auf den Tisch gestellt hatte, setzte sie sich neben ihren Mann. Freundlich forderte sie ihre Gäste auf, zu zugreifen.
Obwohl alle drei hungrig waren, schien keiner von ihnen
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