Matharis Kinder (German Edition)
einmal anzutreffen.
Zuerst veränderte sich seine Haltung. Es war kein gewöhnliches Straffen oder sich Aufrichten. Jeder einzelne Knochen verschob sich. Die Muskeln richteten sich neu ein an ihrem Platz. Ein völlig neues Gesicht entstand. Sogar die Augen farbe wechselte vom vertrauten Braun zu einem raubtierhaften Gelb.
Pariko war verschwunden.
Als sich der Wächter vom Tisch erhob, war sein Körper um zwanzig Pfund schwerer und mindestens eine Handbreit größer.
Plötzlich war Moynas Messer in seiner Hand. Hart packte er den Arm der völlig überrumpelten Frau und riss sie zu sich hoch.
„Ja, wen haben wir denn da?“ Auch die Stimme war nicht wieder zu erkennen: ein Schnurren wie von einer Fleckkatze, die in zärtlich-tödlichen Griff ihre Beute umklammert. „Was für ein hübsches Hühnchen ist uns denn da in die Falle gegangen?“
Es war eine albtraumhafte Wiederholung jener Szene, die sich in Torians Gedächtnis eingegraben hatte: Ein Grenzwächter, der Janael ein Messer an die Kehle hielt.
Zähnefletschendes Knurren zerriss das Schauspiel. Der Hund! Keiner der Anwesenden hatte an den schwarzfelligen Beschützer gedacht. Wäre die Szene echt gewesen, hätte dieser Augenblick entweder das Ende des Tieres oder des Grenzwächters bedeutet.
Jetzt stoppte ein scharfer Befehl den Sprung des Hundes mitten in der Luft. Das Tier plumpste auf den Boden, winselte verwirrt und setze sich auf die Hinterläufe.
Pariko stieß Moyna so heftig von sich, dass sie beinahe hinfiel. Entsetzt starrte er auf das Messer in seiner Hand.
Barnar zog den Hund zu sich heran.
„Das war wirklich bemerkenswert“, brummte er, den Kopf des hechelnden Tieres besänftigend kraulend, „ich kenne niemanden, dem es gelungen wäre, unseren vierbeinigen Freund täuschen. Wenn du das kannst, gibt es nichts, was wir dir noch beibringen könnten. Aber …“
Er hielt inne, presste die Lippen aufeinander, als hätte er gerade noch rechtzeitig etwas Dummes zurückhalten können. Das ‚Aber‘ blieb in der Luft hängen. Verlangte nach Ergänzung. Hilflos suchte Barnar den Blick seiner Frau. Was er hatte sagen wollen, war nicht dumm – sondern wahr. Gerade des wegen brachte er es nicht über sich, es auszusprechen.
Diesmal kam Moyna ihm zu Hilfe.
„Barnar hat Recht. In der Kunst der Verwandlung bist zu ein geborener Könner. Da gibt es nichts, was du noch zu lernen hättest. Dennoch gibt es etwas, das du wissen musst. Ich weiß nicht, ob du dir darüber selbst schon Gedanken gemacht hast ...“
Auch ihr fiel es offenbar nicht leicht, das sich in ihrem Gesicht Abzeichnende in Worte zu kleiden. Sie holte tief Luft.
„Zuerst möchte ich dich bitten, das, was wir dir sagen, als Zeichen unserer Freundschaft zu verstehen. Es ist keine Kritik, und schon gar kein Urteil.“ Noch einmal atmete sie tief ein. „Mein Freund, jetzt erst beginne ich zu verstehen, wovor die Alte der Berge dich so eindringlich gewarnt hat. Weißt du, ein Wandler kann eine Rolle nur überzeugend mit Leben erfüllen, wenn ein Teil davon in ihm ist.“ Als sie Parikos Gesicht sah, legte sie ihre Hand auf seinen Arm. „Ja, so ist es nun mal, Bruder, genauso, wie ein Teil in mir hemmungslos die Körper schöner junger Männer genießen möchte …“ Ein kleiner, lächelnder Blick zu Torian. „… so hast du etwas von der Grausamkeit und der bösen Freude an der Angst in dir, die unsere Peiniger zu dem machen, was sie sind.“
Tapfer hielt die kleine Frau dem Blick ihres Gastes stand, nahm es auf sich, mit ihm zusammen den in seinen Augen aufkeimenden Schrecken zu ertragen.
„Das sind die nicht gelebten, dunklen Seiten in uns“, fuhr sie ebenso sanft wie schonungslos fort, „jeder hat sie. Normalerweise fristen sie ihr Schattendasein im Verborgenen, bleiben eingesperrt hinter der Mauer unseres Gewissens. Uns Wandlern ist die Gabe gegeben, dieses Dunkle für unseren Dienst zu nutzen. Ich glaube, dies ist unsere größte Kunst, ist das Wichtigste, was wir zu lernen haben: die Dunkelheit zu erkennen, hineingehen zu können, ohne sich darin zu verlieren.“
Parikos Geist wand sich in einem Entsetzen, für das es keine Worte gab.
Grund dafür waren nicht Moynas Worte. Es war die wie ein Blitz auf ihn hernieder fahrende Erkenntnis, dass sie ihm nichts Neues eröffnet hatten.
Er hätte es erkennen müssen, spätestens in jenem Augenblick, als er als lopunischer Grenzwächter den schlafenden Janael überrumpelte und die Angst in den Augen des Alten auf
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