Matharis Kinder (German Edition)
zu verlangen als das, was du uns gezeigt hast. Dennoch … es übersteigt unser Vermögen, zu verstehen. Darum bitten wir ... bitten wir dich … erkläre uns, wovon dein Körper spricht.“
Janael nickte.
Viele Jahre hatte er die Bilder der Erinnerungen im Niemandsland vor den Mauern seines Bewusstseins verbannt gehalten. Nun, da er das Tor aufstieß, kamen sie scheu und zögernd herein:
Zuerst kamen die beiden Frauen. Merkwürdig, dass gerade sie als Erste da waren. Alt, gebrechlich, beinahe blind die Eine, fast noch ein Kind die Andere, jedoch mit einem Kind im Leib, das ihr die letzten Lebenskräfte auszusaugen schien. Der Körper des jungen Mädchens war kaum mehr als ein hohläugiges Gerippe mit einem zum Bersten aufgetriebenen Bauch.
Im letzten Augenblick hatten sie das rettende Versteck erreicht: er, sein Begleiter und der kleine Flücht lingstrupp, zu dem sie im Laufe der Nacht gestoßen waren. Kaum hatten sie das getarnte Erdloch geschlossen, tauchten die Jäger auf. Drei Schritte von den Fliehenden entfernt hielten sie inne und berieten, was nun weiter zu tun sei. Die fünf Mordgesellen waren müde und schlecht gelaunt. Mindestens zwei von ihnen hatten keine Lust, die Jagd fortzusetzen. Die anderen wollten die Belohnung für einen Jagderfolg noch nicht verloren geben.
Ausgerechnet in diesem Augenblick hatte das noch nicht geborene Kind beschlossen, auf die Welt zu kommen ... das erste Stöhnen der blutjungen Mutter ging zum Glück im Streit der Jäger unter. Die weiteren Laute erstickten in einem schmutzigen Tuch, mit dem einer der Männer der Gebärenden den Mund zu hielt.
Bald darauf zogen die Jäger ab.
In den Armen ihrer Großmutter ergab sich die junge Frau der uralten, heiligen Frauen arbeit des Gebärens. Als das Knäblein unter einer roten Sturzflut endlich den Körper seiner Mutter verließ und die Welt mit lautem Protestgeschrei begrüßte, waren für eine Weile Mühsal, Angst und Gefahr vergessen. Oh ja, dies war eine Geschichte, die fortan viel, sehr viel Hoffnung zu entzünden vermochte.
Ein Hüsteln aus der vordersten Reihe brachte Janael wieder in die Gegenwart zurück. Die Geister der alten und der jungen Frau waren immer noch da. Hatten sie ihn hierher begleitet, um ihm beizustehen? Als unsichtbare Fürsprecher? Bestimmt hatte die Greisin ihren hinfälligen Körper längst verlassen, war hinüber gegangen in das schattige Reich der Heimgekehrten. Ob ihre Enkelin die Geburt überlebt hatte, ob ihr Kind selbst am Leben geblieben war, wusste er nicht. Es waren so viele, von denen er nicht wusste, was aus ihnen geworden war.
In diesem Augenblick fühlte er ihre Gegenwart. Alle hätten sie sich versammelt. Eine endlose Reihe von Fürsprechern...
Ruhig, manchmal stockend, manchmal fließend begann der Letzte Auserwählte seine Geschichte zu erzählen:
“Wir waren immer auf der Flucht damals. Zogen von Ort zu Ort, reisten unerkannt auf verborgenen Wegen, mein Begleiter und ich. Es gab nur noch wenige Siedlungen. Wir mussten aufpassen, dass unsere Spuren nicht den Weg zu den versteckten Brüdern und Schwestern verrieten. Die Jäger waren überall...“, Janael hielt inne.
Ja, sie waren überall, die Jäger. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie das nächste Mal Beute machten...
Zwei Tage später gerieten sieben Flüchtlinge, sein Begleiter und er selbst in eine Falle. Jemand hatte sie verraten. Wie sonst hätten die Jäger vor ihnen in dem Versteck sein können?
Das weiß bleckende, triumphierende Grinsen in den geschwärzten Gesichtern ließ die Gefangenen erstarren. Nicht der kleinste Laut fand mehr den Weg über ihre Lippen. Es gab keinen Ausweg. Für keinen von ihnen.
Mit einem aberwitzigen Gefühl der Erleichterung kam ihm in den Sinn, dass sie diesmal wenigstens keine Kinder bei sich hatten.
„ ... und so haben sie uns schließlich aufgespürt und gefangen“, erzählte Janael weiter. „Wir konnten nur noch hoffen, dass uns im Lager der Soldaten ein schnelles Ende bevorstand. Man machte damals nicht immer kurzen Prozess mit jenen, die man erwischte. Viele verschwanden für den Rest ihres Lebens in Bergwerken oder Kohlengruben. Nein, vor dem Tod fürchtete ich mich nicht. Meine Mitgefangenen ahnten ja nicht, wer ich war. Aber ich wiegte mich in einer trügerischen Sicherheit. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, von wem die Wachen erfuhren, was für einen kostbaren Fang sie mit mir gemacht hatten. Vielleicht war es derselbe, der uns in die Falle
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