Mathias Sandorf
ihrer Fußsoldaten, den blauen der Artilleristen und an den Bäckerburschenkäppis, welche sich nur durch ein Wunder der Equilibristik auf dem Ohre zu halten scheinen.
Man ist eben auf Gibraltar. Diese Main-Street durchschneidet die ganze Stadt, denn sie geht von dem Meerthor bis zur Porta d’Alameda. Von dort verlängert sie sich bis zur Punta d’Europa an bunten Landhäusern und grünenden Anlagen vorüber, durch Blumenparterres und Kugelgärten, Batterien mit Geschützen jeder Gattung, Pflanzengebüsche jeder Zone. Ihre Ausdehnung beträgt viertausenddreihundert Meter, das heißt beinahe so viel, als der ganze Felsen von Gibraltar mißt, welches ein Dromedar ohne Kopf, niedergekauert im Sande von San Roque und mit in das Mittelmeer hineinhängendem Schweife zu sein scheint.
Dieser mächtige Felsblock steigt vom Festlande aus, welches er mit seinen Kanonen, mehr als siebenhundert Geschützen, bedroht, deren Schlünde durch die unzähligen Schießscharten der Casematten gähnen – die »Zähne der Greisin« schimpfen die Spanier sie – bis zu einer Höhe von vierhundertfünfundzwanzig Meter steil empor. Zwanzigtausend Einwohner, sechstausend Mann Garnison, bevölkern die unteren Abhänge des Berges, ausschließlich der Vierfüßler, der berühmten »Monos«, schwanzloser Affen, Abkömmlinge der älteren Geschlechter dieses Ortes, in Wahrheit der wirklichen Eigenthümer dieses Bodens, die noch die Höhen des alten Calpe bewohnen. Von dem Gipfel des Berges beherrscht man die Meerenge, überwacht das ganze marokkanische Gestade, auf der einen Seite das Mittelländische Meer, auf der anderen den Atlantischen Ocean. Die Fernröhre der Engländer bestreichen einen Umkreis von zweihundert Kilometern innerhalb dessen sich auch nicht der kleinste und verborgenste Punkt ihrer Beobachtung entziehen kann – und wie gut beobachten sie!
Wenn glückliche Umstände es ermöglicht haben würden, daß der »Ferrato« zwei Tage früher auf der Rhede von Gibraltar hätte eintreffen können, wenn zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang der Doctor Antekirtt und Peter Bathory an dem kleinen Quai gelandet wären, das Meerthor durchschritten, die Main-Street passirt, durch das Thor von Alameda die Stadt verlassen hätten, um die schönen Gärten zu erreichen, die sich auf der linken Seite bis zur halben Höhe des Berges hinaufziehen, so würden vielleicht die im Laufe der Erzählung berichteten Ereignisse einen schnelleren und wahrscheinlich einen wesentlich anderen Verlauf genommen haben.
Am 19. September Nachmittags nämlich saßen auf einer der hochlehnigen Holzbänke, welche die englischen Gartenanlagen zieren, im Schatten der großen Bäume, den Rücken den die Rhede bestreichenden Kanonen zugewandt, zwei Personen plaudernd, welche das Bestreben zeigten, von den dort Promenirenden nicht gehört zu werden: es waren Sarcany und Namir.
Man hat gewiß nicht vergessen, daß Sarcany mit Namir in Sicilien zusammentreffen wollte, als die Expedition nach Casa Inglese unternommen wurde, die mit dem Tode Zirone’s endete. Sarcany, rechtzeitig benachrichtigt, änderte seinen Feldzugsplan, was zur Folge hatte, daß der Doctor vergebens acht Tage hindurch mit seinem Schiffe vor Catania ankerte. Namir verließ auf die empfangenen Befehle hin unverzüglich Sicilien und kehrte nach Tetuan zurück, woselbst sie damals hauste. Von Tetuan kam sie nach Gibraltar, wohin sie Sarcany bestellt hatte. Sie war am Abend zuvor angekommen und gedachte, am folgenden Tage abzureisen.
Namir, die wilde Genossin Sarcany’s, war diesem mit Leib und Seele ergeben. Sie war es, die ihn in den Duars von Tripolis erzogen hatte, als wenn sie seine Mutter gewesen wäre. Sie hatte ihn niemals verlassen, selbst damals nicht, als er Maklergeschäfte in der Regentschaft verrichtete, wo sie durch geheime Vertraulichkeiten mit den furchtbaren Sectenanhängern des Senusismus in Verbindung stand, deren Pläne auf die Einnahme von Antekirtta hinausliefen, wie schon weiter oben gesagt wurde.
Namir war halb mit ihren Gedanken, halb mit ihren Handlungen an Sarcany durch eine Art mütterlicher Liebe geknüpft, sie war ihm vielleicht ergebener als es Zirone, sein Genosse in Freud und Leid, jemals geworden wäre. Auf ein Zeichen von ihm hätte sie für ihn ein Verbrechen begangen, auf einen Befehl von ihm ohne Zögern den Tod auf sich genommen. Sarcany konnte also zu Namir ein unbedingtes Vertrauen haben, und wenn er sie nach Gibraltar hatte kommen lassen, so war es deshalb,
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