Mathilda, Mathilda! - Drei wie Zimt und Zucker: Band 3 (German Edition)
Damit würde Papa bei uns nicht durchkommen, darüber waren wir uns ausnahmsweise ganz einig.
»Oder hat es vielleicht einen ganz anderen Grund?«, sagte ich so nebenbei wie möglich, während mein Vater das Lenkrad fester umklammerte und angestrengt auf die Straße starrte. »Ich meine nur, weil wir letztens im Aufklärungsunterricht gehört haben, dass …«
Papa holte tief Luft. Er warf uns durch den Rückspiegel einen Blick zu, so, als ob er uns ins Vertrauen ziehen wollte. »Wisst ihr, eigentlich wollten wir es euch erst sagen, wenn es wirklich sicher ist«, sagte er und er hatte plötzlich einen furchtbar ernsten Gesichtsausdruck. »Stephanie ist seit kurzem schwanger, aber sie hat bereits ein Mal ein Baby in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft verloren.«
»Wie verloren?«, rief Friederike dazwischen und sah so aus wie ein Fragezeichen. »Wie kann man denn ein Baby verlieren?« Das konnte ich mir auch nicht wirklich vorstellen. Wir rutschten soweit in unseren Sitzen nach vorne, wie es die Gurte zuließen, um ja kein Wort zu verpassen.
Wieder holte Papa Luft. Es schien ihm schwer zu fallen, darüber zu sprechen. »Wenn in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen etwas nicht in Ordnung ist, wächst das Baby nicht weiter. Dann kommt es zu einer Fehlgeburt.«
Davon hatte ich noch nie etwas gehört und auf einmal wurde mir so sehr bewusst, was für ein großes Glück ich gehabt hatte, dass ich geboren worden war. Auch Friederike saß ganz still in ihrem Sitz.
»Versteht ihr jetzt, warum Stephanie erst ganz sicher sein will, dass mit dem Baby alles in Ordnung ist, bevor sie euch etwas davon erzählt?«, fragte Papa.
Friederike und ich nickten stumm. Und mal wieder dachte ich, warum die Dinge immer so viel komplizierter sein müssen, als sie auf den ersten Blick scheinen. Wie traurig Stephanie gewesen sein musste, als sie das erste Baby verloren hatte, und wie viel Angst sie jetzt haben musste. Auch wenn ich lieber einen großen Bruder gehabt hätte, in diesem Moment wünschte ich dem Baby, dass alles gut gehen sollte. Doch wie sollte das alles nur werden, wenn Papa in Hongkong, Stephanie in Frankfurt und wir in Krähwinkel waren?
Achterbahn
W arum ist es mit den Gefühlen so wie mit einer rasanten Achterbahnfahrt, die man freiwillig nicht antreten will? Aus der man trotzdem nicht mehr aussteigen kann? So kommt es mir oft vor. Auch an dem Tag, als wir nach Hause fuhren. Der absolute Tiefpunkt war, als wir uns von Papa im Frankfurter Hauptbahnhof verabschieden mussten, ohne zu wissen, wann wir ihn das nächste Mal wiedersehen würden. Er musste nach Hongkong zurückkehren und die einzige Art, Papa zumindest zu sehen, war, über Skype mit ihm zu telefonieren. Aber das war nicht dasselbe. Überhaupt nicht! So klammerten Friederike und ich uns auf dem Bahnsteig schluchzend an unseren Vater, der uns in den Armen hielt und immer wieder »Ach, Krümel«, (das ist mein alter peinlicher Kosename) oder »ach, Mücke«, murmelte. Als ich klein war, dachte ich immer, Eltern wüssten und könnten alles. Doch es gab nichts, was Papa tun konnte. Und vielleicht war es das, was am meisten weh tat, als wir mit 300 Stundenkilometern im ICE Richtung Köln sausten.
Doch dann kam eine SMS und in meinem Bauch kribbelte es, wie in einer Achterbahn, wenn sie in die Kurve geht. Denn Mats hatte geschrieben:
WICHTEL , IN 16 STUNDEN SIND WIR SCHON UNTERWEGS . :D
Ich drückte das Handy an mich und hatte sofort ganz viele Szenen im Kopf, die noch nie passiert waren, aber die ich mir wunderschön vorstellte. Mats, der meine Hand nahm und mich auf so eine ganz bestimmte Art anlächelte, Mats, der für mich ein Herz in den Schnee malte, Mats, der mir über meine Haare strich, bevor er mich küsste …
»Was grinst du so?«, maulte Friederike neben mir. Das war mal wieder typisch für meine kleine Schwester. Wenn sie traurig war, durfte niemand sonst in ihrer Nähe auch nur einen Moment lang glücklich sein.
»Geht dich nichts an«, fauchte ich zurück, während ich aus dem Zugfenster schaute. Friederike sollte ruhig merken, dass ich keine Lust hatte, mit ihr zu sprechen. Wie gerne hätte ich das glückliche Kribbeln festgehalten. Ich lehnte meinen Kopf an die Fensterscheibe und dachte wieder an Mats. Aber stattdessen tauchte plötzlich Linn in meinen Gedanken auf. Total wütend, wie letztens! Sofort fühlte ich mich wie in einer Achterbahn, kurz bevor sie in die Tiefe saust. Denn Linn und ich waren schlimmer zerstritten als je
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