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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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anderer Typ geworden gegenüber früher, als er klein war. Jetzt hat er sogar schwarze Fingernägel. Nur das Babygesicht ist geblieben, obwohl er sicher schon dreizehn ist. Ich wüsste gern, wie seine Mutter das Haar findet. Wahrscheinlich ist sie ohnmächtig geworden, als sie es gesehen hat. Mein Gott, was täte ich nicht, damit Ma einmal in Ohnmacht fiele. Nur ein einziges Mal, nur als Lektion. Aber heutzutage werden die Leute nicht mehr so leicht ohnmächtig wie in alten Zeiten. Früher fielen sie von einer Ohnmacht in die andere.
    Plötzlich hält der Bulldozer inne, die Stille bricht wie ein Wasserfall herein. Kevin und ich stehen unter dem Getöse.
    «Du rauchst?», sagt er. «Darfst du rauchen?»
    «Na klar», sage ich, «nur nicht im Haus.»
    Er nickt, vielleicht hat er mich unterschätzt.
    «Was hast du mit deinem Haar gemacht?», frage ich.
    «Ich lasse das nicht so», sagt er.
    Ich sage ihm, wie schön ich es finde.
    «Ich weiß nicht», sagt er. Er wendet sich von mir ab und wiederder Zerstörung zu. Er fummelt an seiner Kette, fängt an damit zu spielen.
    «Ich muss gehen», sagt er.
    Ich frage ihn, ob er nicht Lust habe, ein bisschen in der Gartenlaube abzuhängen. Ich nehme einen vorgetäuschten Zug aus meiner Zigarette. Er starrt mich nur an.
    «Komm schon», sage ich, «wie früher.»
    «Ich kann nicht», sagt er. «Ich muss Hausaufgaben machen.»
    Hausaufgaben?, denke ich. Ein Junge mit blauem Haar sollte keine Hausaufgaben machen müssen.
    «Wie geht’s deinem Bruder?», frage ich.
    Kevin nickt und senkt den Blick auf seine Stiefel. Vielleicht fürchtet er sich vor mir. Viele Leute aus unserem Umkreis benehmen sich sehr merkwürdig gegenüber Ma, Pa und mir. Sie wollen dem Fluch der Savitchs nicht zu nahe kommen.
    Ich habe einen Brief von Kevins Bruder unter meinem Bett, eine E-Mail, die er meiner Schwester geschrieben hat.
    «Hat er eine neue Freundin?», frage ich.
    «Du solltest nicht rauchen», sagt Kevin.
    Ich paffe weiter und blase ihm den unsichtbaren Rauch ins Gesicht.
    «Bis dann, Mathilda», sagt er und geht, wie ein Cowboy.
    Ich will dich ficken
ist das eine, was in dem Brief steht.
    Und das andere
ich bin so verliebt in dich.
    Ist Sprache nicht erstaunlich? Ich kann es gar nicht fassen. Manchmal müssen nur ein paar Sachen gesagt werden, und es schlägt ein wie eine Bombe, die dir sämtliche Kleider vom Leib reißt, und plötzlich stehst du nackt da. Ich weiß nicht, wie ich das finden soll, ekelhaft oder schön.
    Der Bulldozer springt wieder an, und als ich aufblicke, sehe ichden Mann darin. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt. Er sitzt in einem kleinen Käfig wie eine Ratte oder ein Astronaut. Als ich ihn ansehe, zwinkert er mir zu.
    Ich drehe mich um, aber ich spüre seine Blicke noch auf mir. Sicher weil ich einen Rock anhabe. Ich werfe die Zigarette auf den Boden und zerdrücke sie mit dem Fuß. Ich streiche dreimal hin und her. Das ist die klassische Art, Zigaretten auszumachen. Beobachten Sie die Leute selbst, wenn Sie mir nicht glauben.
    Helenes Freunde sahen fast alle ähnlich aus. Sie hatten schwarzes Haar. Sie waren dünn, aber mit kräftigen Schultern. Meistens groß, blasse Haut. Nie mit Büchern bepackt. Sie stolzierten einher. Man muss schon sagen, sie sahen wirklich gut aus.
    Helene war keine Heilige. Habe ich Ihnen diesen Eindruck vermittelt? Kein Zweifel, sie hatte einen Körper. Es ist unheimlich, dass ein toter Mensch derselbe Mensch sein soll, der einmal voller Lust war. Es ist unheimlich, weil man lieber nicht zu viel an die Körper der Toten denkt.
    In den letzten Monaten vor dem Zug kam sie immer später als gewöhnlich von der Schule, und nachts fast regelmäßig später, als sie durfte. Sie hatte Tricks, sich rein- und rauszuschleichen. Sie war schlau. Sie schaffte es, in jede Bar zu kommen, einfach, weil sie das richtige Top anzog, und durch die Art, wie sie sich bewegte. Das Größte ist, dass sie trotzdem alle Hausaufgaben fertig kriegte und jeden Test in der Schule bestand. Ich glaube, darum konnten Ma und Pa nicht viel sagen gegen ihre Nachtschwärmerei, sie konnten ihr nicht wirklich beweisen, dass es ihr schadete. Abgesehen davon konnte bei Helene sowieso niemand Nein sagen. Stellen Sie sich Annas Schönheit vor und dazu noch ein Gehirn.
    Sexy und geistreich, das ist die beste Kombination. Helene war sicher beides, und ich wette, dass Ma auch einmal so war. Die Bibliothekarin, die ihre Brille abnimmt und ihr Haar wallen lässt. Sie trägt eine weiße Bluse,

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