Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
sie so wichtig. Sie haben kein Problem mit Raum und Zeit. Da ist alles nicht so eng wie im wirklichen Leben.
    Auch Hs Handy ist tot, vom Zug zu Schrott gefahren. Anscheinend wurde es Ma und Pa in einer Plastiktüte übergeben. Wenigstens habe ich die Liebesbriefe, wenn man sie so nennen kann. Nach meinen Berechnungen gab es ungefähr zehn Jungen, mit denen Helene etwas hatte. Nicht mit allen zugleich natürlich, aber im Lauf der letzten Jahre. Von den meisten kann ich mir ein Bild machen, weil sie irgendwann bei uns zu Hause waren. Aber der interessanteste ist einer, den ich nie gesehen habe, ihr Freund der letzten sechs Monate. Er schreibt in ganzen Sätzen, und ich finde, er schreibt gut. Louis ist sein Name. [email protected]. Ich bin fast ein bisschen verliebt in ihn und weiß nicht einmal, wer er ist. In Hs Jahrbüchern taucht kein einziger Louis auf, also muss er wohl von einer anderen Schule sein. Seine Nachrichten klingen etwas trottelig, aber offenbar hat er Sinn für Humor. Ich mag ihn wirklich gerne.
    Ich überlege seit Längerem, ob ich ihm nicht unter meiner eigenen E-Mail-Adresse schreiben soll, habe es aber nie getan. Das Komische ist, dass Hs E-Mail weiterlebt. Ma und Pa haben uns ein gemeinsames Konto eingerichtet. Wenn ich mich anmelde, erscheint Helenes Benutzername direkt über meinem, aber ich komme nicht dran, weil ich das Passwort nicht kenne. Ich habe schon tausend Wörter probiert. Aber ich gebe nicht auf. In meiner freien Zeit mache ich immer neue Wörterlisten.
    Helenes Benutzername heißt HeyGirl. Ich bin MattieSays. Wir beide laufen unter mindfield.com. Wenn Sie uns je erreichen wollen, ist das sicher der beste Weg.

Acht
    Anna und ich sitzen bei ihr zu Hause im Wohnzimmer. Der Fernseher läuft, aber wir schauen kaum hin. Anna versucht sich einen Splitter aus dem Finger zu ziehen, und ich male ihr mit blauem Kuli ein Schlangen-Tattoo auf den Knöchel.
    «Drück nicht so», sagt sie.
    Helene hat mir immer Tattoos gemalt. Einmal ist ihr ein Meisterwerk von roten Lippen oben auf dem Schulterblatt gelungen. Eine Zeit lang war ich ganz verrückt danach, und Helene musste jede Woche etwas Neues erfinden. Meistens machten wir es heimlich, weil Ma Bedenken wegen Blutvergiftung hatte. Aber einmal, im Sommer, lag ich auf dem Rasen in der Sonne, und Helene malte mir eine Riesenblume mitten auf den Bauch, mit Blütenblättern, die direkt aus meinem Nabel kamen. Als sie fertig war, besiegelte sie das Ganze mit einem Kuss. «Du bist ein Rockstar», sagte sie, und ich glaubte ihr.
    Meine Schlange auf Annas Fuß ist ziemlich missraten, und ich überlege, ob ich sie in eine Krake verwandeln soll. Im Fernsehen wird gerade ein tauber Junge interviewt. Der Junge macht Zeichen mit den Händen und gibt Grunzlaute von sich. Anna seufzt und drückt auf die Fernbedienung. Sie zappt hundert Sachen durch, bis sie etwas über Schönheitschirurgie entdeckt. Zuerst weiß ich gar nicht, worum es geht, einen Augenblick halte ich es für eine Kochshow.
    «Guck mal», sagt Anna, aber ich habe schon gesehen. Ein Doktor zieht ein lappiges Teil aus jemandes Gesicht, man kann nicht einmal erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
    «Krass», sagt Anna, ohne den Kanal zu wechseln. «O mein Gott», sagt sie. Eine medizinische Assistentin saugt mit einem Schlauch das Blut ab. Ich bekomme ein seltsames Gefühl im Bauch. Ich konnte Ekelsachen immer ganz gut ab, aber in letzter Zeit reizt mich das nicht mehr.
    «Ich gehe rauf», sage ich.
    Anna rührt sich nicht, kann sich nicht von dem blöden Bildschirm losreißen.
    Ich finde es zum Ausflippen, wenn andere die Fernbedienung in der Hand haben. Niemand will je sehen, was du sehen willst. Und dann schalten sie das Programm immer im falschen Moment ab. Wenn ich allein fernsehe, habe ich meine eigenen Regeln und schalte nur ab, nachdem etwas Gutes passiert ist, oder so, dass die letzten Worte, die man hört, einen nicht verletzen. Man will doch nicht abschalten, wenn zwei Leute mitten im Streit sind oder wenn jemand gerade
Schwein
sagt oder
Tod
oder
mein Auto ist verreckt
. Man will doch sicher sein, dass die letzten Worte etwas sind wie
das wäre großartig
oder
Welt deiner Träume
oder
bezaubernd köstlich
.
    Auf der Treppe nach oben kommt man an all den Gartenbildern vorbei, die Annas Mutter selbst gemalt hat. Die Blumen sind gut, aber die Menschen einfach nur ferne Kleckse, sogar ohne Gesichter. Die Kleckse stehen unter Bäumen oder verkleckern sich beim Picknick. Warum

Weitere Kostenlose Bücher