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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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abgeschickt, sondern in «Entwürfe» gespeichert. Und ich habe eine zweite Nachricht geschrieben.
    Liebe Ma, ich sehe dich. Manchmal bin ich dir ganz nahe. Ich sehe dich, aber ich kann nichts tun. Denkst du viel an mich? Wie geht es Pa? Und Mathilda? Bitte schreib mir. Alles Liebe, Helene
    Auch die habe ich noch nicht abgeschickt.
    Was würde es bedeuten, wenn ich sie schickte? Und wäre es eine Sünde, ist meine andere Frage. Ich weiß nicht, was Gott von Menschen hält, die Tote imitieren, aber ich kann mir vorstellen, dass er nicht sehr begeistert wäre. Als ich die Nachricht an Louis schrieb, hatte ich ein gutes Gefühl. Aber bei der an Ma wurdemir irgendwie schwindelig. Danach musste ich mich fast wieder erbrechen.
    Ich will unbedingt die richtigen Worte finden. Genau das sagen, was Helene sagen würde, wenn sie hier wäre. Oder was sie sagen würde, wo immer sie ist. Es ist sehr schwierig, für eine Tote zu sprechen. Man muss viel dran arbeiten, die passende Stimme zu finden.
    Als ich Kevin eine E-Mail schrieb, bekam ich sofort eine Antwort.
O.K.
, schrieb er,
bis später.
    Komm um 4, dann ist niemand zu Hause.
    Natürlich schrieb ich Kevin von meiner eigenen E-Mail aus, also war es auch kein Problem.

    Die Wände sind schwarz gestrichen. Total verrückt. Wie ein Zimmer, das im fernen Weltraum gestrandet ist. Unmögliche Dinge könnten hier passieren, so kommt es einem vor. Es könnten beispielsweise andere Gesetze gelten, solche wie in schwarzen Löchern. Während ich versuchte, mich zurechtzufinden, sah ich mir Kevins Poster an. Lauter Bands, von denen ich noch nie gehört hatte. Human Oatmeal. Sado-Kitty. A.S.N.F. Was, wie Kevin erklärte, für Arnold Schwarzenegger ist Normativ Fettleibig steht.
    Ich fragte ihn, wie er seine Mutter rumgekriegt habe, dass er sich schwarze Wände malen durfte. Anscheinend war es eine Art Kuhhandel. Sie sagte, er könne mit seinem Zimmer machen, was er wolle, vorausgesetzt er halte sein Versprechen, «bessere schulische Leistungen» mit nach Hause zu bringen. Er imitierte seine Mutter mit britischem Akzent, was ziemlich komisch war.
    Nur eines passte nicht in den schwarzen Raum: das Aquarium. Ein riesiges Tropenbecken. Es fiel gewissermaßen aus dem Rahmen,war aber dennoch erstaunlich. Ein ganzes Reich der Fische. Wie gebannt starrte ich es an. Am Boden lag ein versunkener Schatz, überquellend von Goldstücken. Es gibt sogar eine Höhle, in der die Fische sich verstecken können, und ein Miniauto mit einem eingeklemmten Skelett. Der Meeresgrund besteht aus Abertausend winzigen blauen Kieselsteinchen. Manche Fische sehen aus wie handgemalt. Andere sind so gut wie durchsichtig. Das Becken hat auch ein eigenes Licht, und als Kevin die Zimmerlampen ausmachte, glich das Aquarium einer anderen Welt. In der Dunkelheit kamen die Fische mir vor wie Genies, und ich war der Idiot.
    «Weißt du noch, die Festung?», sage ich zu Kevin. «Draußen im Wald?»
    «Das ist lange her», sagt er.
    Er knipst die Lampen wieder an, und mir ist klar, er will nicht über die Festung reden. Warum der Vergangenheit nachhängen, ist wahrscheinlich seine Philosophie.
    «Sicher ist die längst verfallen», sage ich.
    «Ich wette, da liegen Skelette drin», sage ich. Aber er lacht nicht.
    «Willst du die Fische füttern?», fragt er. Er fährt echt voll auf seine Fische ab. Ein bisschen kitschig, aber irgendwie auch schön. So, wie Kinder Sachen lieben, wie ich Luke immer geliebt habe.
    «Gern», sage ich.
    Kevin gibt mir das Futter, und als ich die Flocken ins Wasser streue, kommt es mir vor wie Fischsuppe kochen. Ich muss fast lachen.
    «Nicht zu viel», sagt Kevin. «Wenn du zu viel gibst, machst du sie tot.»
    Gemeinsam beobachten wir, wie die Fische an die Oberfläche schwimmen. Mit ihren kleinen runden Kussmäulern saugen sie den Flockenteppich ab.
    «Was macht dein Bruder eigentlich?», frage ich.
    «Ich weiß nicht», sagt Kevin.
    «Will er zur Armee?»
    «Nein, er geht nächstes Jahr aufs College.»
    «Oh», sage ich. «Das ist toll.»
    Auf einmal steht mir vor Augen, wie sämtliche Freunde von Helene denselben Kurs im selben dämlichen College besuchen. Helene wollte auch aufs College, möchte ich sie alle anschreien.
    «Das reicht», sagt Kevin und nimmt mir das Fischfutter weg.
    «Setz dich doch», sagt er aufs Bett deutend.
    «Schon gut», sage ich.
    «Hast du Zigaretten dabei?», fragt er.
    «Ich rauche nicht», sage ich. Aber dann erinnere ich mich an die Szene mit dem Bulldozer.
    «Ich

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