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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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raus», hat Ma einmal gesagt, aber Pa sagte, nein, er wolle sie behalten. «Das kann nicht mehr gut sein», sagte Ma. Pa stimmte zu, wir sollten es nicht essen, aber bleiben solle es trotzdem, es störe doch niemanden, sagte er.
    Die Gläser geben einem das Gefühl, in Frankensteins Labor zu sein. Es gibt auch silberne Dosen voller Wer-weiß-was. Finger und Zehen und gehacktes Hirn? Wer weiß, was die Großmutter hier unten getrieben hat. Vielleicht war sie besessen. Vielleicht hat sie den Opa eingemacht. Der Sturz über einen Hund ist eine ziemlich unwahrscheinliche Geschichte.
    Ich lege auch Wasservorräte an. Ungefähr zehn große Flaschen stehen schon in einer Reihe an der Wand, und einen Stapel Esssachen habe ich auch beisammen. Frühstücksriegel, Nüsse und Fruchtsäfte. Dann noch Brezeln, Erdnussbutter und ein großes Glas Vitamin C mit Kirschgeschmack zur Vorbeugung gegen Skorbut. Wer weiß, wie lange wir da unten sein werden.
    Ich habe eine Taschenlampe plus Ersatzbatterien. Ich habe Decken. Und ich habe ein Messer, ein Fundstück aus einer der alten Kisten. Es steckt in einem Lederfutteral, das man am Gürtel tragen kann. Vielleicht gehörte es Pas Vater, vielleicht war es auch Privatbesitz von Mrs Frankenstein. Ich dachte einfach, ein Messer sei immer gut zu haben. Für alle Fälle, gegen Eindringlinge.
    Hs Sachen habe ich ordentlich an die Seite gelegt und mit einem Laken zugedeckt. Wenn Kevin und Anna kommen, soll das kein Blickfang sein. Es wäre nicht unbedingt ein guter Gesprächsaufhänger.
    Ma und Pa haben keine Ahnung, dass ich unten gewesen bin. Ich habe versucht, mit ihnen über den Katastrophenfall zu sprechen, aber sie scheinen nicht besonders interessiert zu sein. FEMA empfiehlt, man solle mit seinen Eltern über Ängste und andereGefühle reden, auch darüber, wie die Familie vorbereitet ist. Aber Ma und Pa können mich nicht einmal hören. Als hätten sie sich längst in ihre Schutzbunker im Kopf zurückgezogen. Sollen sie doch, von mir aus. Wenn sie nicht teilen wollen, werde ich es auch nicht tun.
    Wie auch immer, allmählich habe ich das Gefühl, im Keller leben zu können. Früher, als ich so oft zu den Jungen in die Waldfestung ging, war manchmal niemand dort, und dann schlüpfte ich hinein, legte mich auf den Rücken, und mir kamen die besten Gedanken, die ich je in meinem Leben gehabt hatte.
    Ab und zu nehme ich Luke mit nach unten. Er stört mich nicht. Er platscht sich auf den Zement, weil es dort schön und kühl ist, und wahrscheinlich riecht er die Erde unter dem Boden, vielleicht sogar Knochen. Indianerknochen oder was immer dort begraben liegt, prähistorische Katzen und Hunde, womöglich gar die Knochen von Dinosauriern. Wer weiß schon, was unter einem Haus ist. Das Haus, in dem man wohnt, stellt nur die jüngste Entwicklung der Weltgeschichte dar. Bevor dort ein Haus war, könnte es ein Dschungel oder eine Wüste gewesen sein. Vor Millionen von Jahren war es vielleicht der Meeresgrund. Man weiß es nicht. Man kennt nur das Hier und Jetzt. Den Rest muss man sich ausdenken.

    «Ich kann nicht kommen», sagt Anna, «meine Mutter erlaubt es nicht.»
    «Warum hast du es ihr überhaupt erzählt?», sage ich. «Es sollte ein Geheimnis sein.»
    «Ich musste es ihr erzählen», sagt Anna.
    «Was meinst denn du, soll ich einfach weglaufen?», sagt sie.
    «Ja», sage ich. «Genau.»
    Ich sitze auf der Couch, und Anna sitzt neben mir. «Entschuldige», sagt sie.
    «Du willst mich also ganz allein im Keller sitzen lassen?», frage ich sie. Ich habe Kevin noch gar nicht erwähnt.
    «Was, wenn mir da unten etwas passiert?», sage ich. «Kannst du nicht wenigstens für eine Nacht kommen?» Ich bettle richtig. «Nur eine einzige lausige Nacht? Sag deiner Mutter doch, wir schlafen in meinem Zimmer.»
    «Ich weiß nicht», sagt sie.
    «Ich brauche dich», sage ich.
    Ich sehe ihr fest in die Augen.
    Ich brauche dich.
    Magische Worte. Die gehen ihr direkt ins Herz. Ich sehe das Blut in ihre Wangen strömen.
    «Vielleicht», sagt sie. «Vielleicht für eine Nacht.» Dann lächelt sie, ein scheues Lächeln, aber ich sehe es. Ich weiß, sie will, was ich will. Etwas Neues. Etwas anderes. Manchmal wirkt Anna wie eine Puppe, schon wegen der Art, wie sie den Kopf neigt, aber wenn man der Puppe genauer in die Augen schaut, begreift man, dass sie zerfetzt werden will. Sie will, genau wie ich, eine andere Person sein.
    «Wir machen es zusammen», sage ich. «Du und ich.»
    «Einverstanden?»
    Die Puppe

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