Mathilda Savitch - Roman
Männer in meinen Träumen auf. Erst war es nur der eine, und dann kam Louis dazu. Aber manchmal geht alles durcheinander. Manchmal hat Louis einen Bart und blaue Augen wie der Terrorist, der sich erschossen hat. Manchmal sagt er, er liebt mich. Er sagt mir genau dasselbe, was er Helene gesagt hat. Ich versuche, nicht hinzuhören, aber dann tue ich es doch. Er kriegt einen leicht rum.
Achtzehn
Liebe Helene,
es passiert so vieles und so schnell, dass ich kaum mitkomme. Die letzte Woche war einfach grauenhaft, schrecklich schrecklich, tut mir leid, wenn ich Freitag etwas daneben war. Ich weiß, wie traurig du über das Ganze bist, und will über alles reden. Komm doch Mittwoch zu mir raus, oder wir treffen uns in Little Falls, im Park. Wie es dir lieber ist. Ich habe dauernd das letzte Bild vor mir, das wir von dir gemacht haben, du siehst umwerfend aus! Wir sollten mehr davon machen. Ich habe dem Doktor erzählt, ich hätte einige Zeit mit einer berühmten Sängerin und Texterinverbracht, und er sagte, du seist ein Schatz, aber das wusste ich ja schon. Hoffentlich wird was aus Mittwoch, sag Bescheid.
Alles Liebe, Louis
Seltsam, diese Art, E-Mails zu schreiben, förmlich wie Briefe. Wahrscheinlich ist er Jahrgangsbester und bereitet sich aufs College vor. Oder er ist sogar schon dort, die Zeit geht schließlich weiter, trotz Helenes Tod.
Es passiert so vieles und so schnell, dass ich kaum mitkomme.
Das drückt ziemlich gut meine eigenen Gefühle aus.
Interessant ist auch diese Wiederholung des Worts schrecklich.
Die Sache mit Helenes Traurigkeit kenne ich nur allzu gut. Das ist keine erschütternde Neuigkeit oder so. Nicht, dass sie die ganze Zeit traurig gewesen wäre, aber wenn, dann war es wie ein Kraftfeld, das niemand durchbrechen konnte.
Helene war berühmt dafür, dass sie tagelang weinte, ohne ihr Zimmer zu verlassen. Manchmal, wenn man in die Nähe kam, hörte es sich an, als würde sie gewürgt. Ich könnte schwören, sie hatte ihr Gesicht in den Kissen oder in einem der Kuscheltiere vergraben. Sie hatte eine riesige Sammlung Bärchen und Hasen und Lämmer und fand nicht mal was Peinliches daran. Die meisten waren sehr plüschig und gut zum Reinweinen. Vielleicht hat sie den ganzen Haufen deswegen behalten. Manchmal platzte ich einfach bei ihr herein, nur um zu sehen, ob es ihr gut ging. «Raus!», schrie sie dann, als wäre ich ihr schlimmster Feind auf Erden. Danach schloss sie die Tür ab, und Ma stand draußen und versuchte, mit ihr zu reden. Ma redete und redete, dabei streichelte ihre Hand die blöde Tür, als wäre sie Helenes Kopf.
Und wenn man gerade dachte, man hält es nicht mehr aus,
schnipp!
war Helene wieder die Alte. Lächelnd, quietschvergnügt, mit zurückgekämmtem Haar spazierte sie in die Küche und erzählte aufgedreht und irre schnell von ihren Zukunftsplänen. Einmal aßen Ma und ich Cornflakes, als Helene hereinstürmte und verkündete, sie habe ein neues Lied fertig, das vielleicht wirklich gut sei, und wir möchten es uns bitte anhören. Dann schloss sie die Augen und sang es uns aus dem Stegreif in der Küche vor. Immer, wenn Helene vor anderen Leuten sang, was nicht so oft geschah, schloss sie die Augen. An das Lied selbst kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass wir klatschten, als sie fertig war, und nichts das Lächeln von ihrem Gesicht hätte vertreiben können. Sie hatte wirklich zwei Seiten. Die meisten Leute sahen nur die Sonnenseite. Die dunkle blieb eher zu Hause. Obwohl ich annehme, Louis hat einen Blick darauf erhascht.
Oder wir treffen uns in Little Falls, im Park.
Erstaunlich, Little Falls heißt nämlich die Stadt, in der wir leben.Den Park kenne ich schon ewig. Offenbar trieb Helene ihre heimlichen Affären direkt vor unserer Nase.
Eine andere E-Mail von Louis ein paar Wochen später lautet:
Was erwartest du von mir? Was soll ich tun? Bitte geh zu diesen Leuten und sprich mit ihnen, sie können sicher helfen.
Dem Datum nach hat er sie nur eine Woche vor dem Zug geschickt.
Seine Nachrichten machen mich wahnsinnig, weil ich oft nicht begreife, was die Sachen bedeuten. Manchmal ist er ziemlich unterkühlt, und man fragt sich, was er wirklich empfindet. Ich konnte nicht länger warten. Ich beschloss, ihm von Hs E-Mail zu schreiben. Ich war mir nicht sicher, wie ich meine Schwester genau imitieren sollte, darum dachte ich, je einfacher, desto besser.
Lieber Louis, ich vermisse dich. Alles Liebe, H.
Ich habe sie noch nicht
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