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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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würde ich sagen.
Du hast mir ganz schön Angst gemacht, Ma.
    Nur ist es eben so, wenn ein weiblicher Houdini plötzlich in einer Rauchwolke verschwindet, ist der Trick erst zu Ende, wenn er wieder da ist. Wenn man die Leute zu lange warten lässt, werden sie ärgerlich. Und wenn man gar nicht wiederkommt, hat man den Trick verpatzt und sollte von der ganzen Zauberei lieber die Finger lassen.
    Als Pa und ich aus dem Keller nach oben kamen, setzten wir uns in die Küche, und Pa machte eine ganze Reihe Anrufe, um die Lage zu klären. Er rief alle Leute an, die er kannte, aber Ma war nirgendwo.
    «Hast du’s im Tierheim versucht?», fragte ich, aber so leise, dass Pa es nicht hörte. Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt gefragt habe, weil mir ehrlich gesagt doch etwas mulmig war. Man weiß nie, ob nicht was in der Familie liegt. Depressionen und was nicht alles, und wohin das führen kann.
    «Sie ist einfach weggefahren? Was glaubst du, wo sie hin ist?»
    «Ich weiß es nicht», sagte Pa, und ich sah ihm an, wie wenig er es wusste. Ich sah ihm an, wie es ihn zerfraß.
    «Glaubst du, sie hat es wegen mir getan?», fragte ich. Ich konnte mich kaum erinnern, was ich als Letztes zu ihr gesagt hatte. Sogar ihr Gesicht konnte ich mir kaum noch vorstellen. Ich versuchte es immer wieder, aber mein Gehirn vermasselte es jedes Mal.
    «Warum bist du ihr nicht hinterhergefahren?», fragte ich, und da schenkte mein Pa mir plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit.
    «Weil ich dich suchen musste», sagte er. Er sagte es in einem Ton, dass man glauben konnte, mich zu suchen sei die schlimmste Höllenstrafe.
    «Alle so anzulügen», sagte er. Ich wusste, er meinte den Keller und die Lüge, bei Anna zu übernachten, aber ich hatte so ein unbehagliches Gefühl, dass er irgendwie auch wusste, was ich überHelene gesagt hatte. Ich wusste, es gab jede Menge Sachen, deretwegen er sauer auf mich war, nicht nur den Keller. Aber das Komische ist, ein Butterbrot schmierte er mir trotzdem.
    Alles wäre bestens gewesen, hätte nicht Annas Mutter angerufen und sich nach ihrem werten Töchterchen erkundigt. Wir hätten für immer da unten verschwinden können. Jetzt bin ich wieder da, wo ich angefangen habe, oben, wo Ma das letzte Wort hat, wie immer. Sie ist nicht einmal hier, und trotzdem ist sie überall. So sind Mütter eben. Biologisch sind Mütter ein echtes Problem. Sie hängen an einem fest, weil man so viel von ihnen hat, massenhaft Zellen und alles. Schlimmer als in einem Monsterfilm.
    «Wahrscheinlich fährt sie nur ein bisschen durch die Gegend», sage ich. Als Helene und ich klein waren, hatte Ma kein Problem damit, stundenlang Auto zu fahren, um mit uns irgendwo hinzugehen, in einen Zoo oder ein Museum oder sogar in dieses schicke Schuhgeschäft, nach dem sie ganz verrückt war. «Du weißt doch, sie fährt gerne Auto», sage ich.
    «Was habt ihr da unten gemacht?», wechselt Pa das Thema.
    «Nichts», sage ich. Ich will nicht auch noch mit Terrorismus anfangen, bei allem, was hier los ist. Ich versuche, das Butterbrot zu essen, aber es geht nicht. Die ganze Küche stinkt noch nach Lukes Hundekacke.
    «Er hat die ganze Nacht geschissen», sagt Pa. Ich wundere mich, Pa so reden zu hören, weil das sonst nicht seine Sprache ist. Ich schaue mich nach Luke um, der beschämt in der Ecke liegt, auf seinem Spezialbett aus Zeitungspapier und Plastiktüten. Ich vergesse manchmal, dass er alt ist.
    «Wie lange leben Hunde?», frage ich Pa.
    «Es wird schon werden», sagt Pa.
    Ich bringe ihm mein halbes Brot in seine Ecke.
    «Gib ihm doch das nicht!», fährt Pa mich an. «Verflixt noch mal, Mathilda.»
    Irgendwie ist er ein ganz neuer Pa. Mit seinem wirren Haar und dem schwarzen Bartschatten ist er wie ein Filmschauspieler, der einen schlechten Tag hat. Sogar nach Helene hat er sich jeden Morgen gekämmt und rasiert und sein glattes Gesicht aufgesetzt. Heute Abend sieht er aus wie jemand, der eine Bierflasche hinten aus dem Bus schmeißen könnte. Ich warte nur darauf, dass er mich ins Bett schickt, aber bis jetzt hat er nichts gesagt. Vielleicht wünscht er sich insgeheim, dass ich bei ihm bleibe.
    Jetzt ist er wieder am Telefon, und Luke winselt, wer weiß warum. Vielleicht will er nur gestreichelt werden, einmal richtig durchgekrault. Normalerweise kommt er einfach her und drängelt mit dem Kopf, wenn er das will, aber vielleicht ist er zu krank. Entweder das, oder er traut sich nicht, von seinen Plastiktüten aufzustehen, aus lauter Angst,

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