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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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seinen heimlichen Gedanken liest. Schreib sie auf, hat mir eine Lehrerin mal gesagt. Was keine schlechte Idee war. Ich glaube, es war Miss Massitelli, vor ein paar Jahren. Schreib deine Gedanken auf, sagte sie, mach eine Geschichte daraus. Im Ganzen war das eine gute Übung, aber mein Problem sind die Zeiten. Gegenwart, Vergangenheit, in meiner Vorstellung geht es dauernd hin und her. War oder ist? Ich weiß nie, was ich nehmen soll. Es ist ein Krieg in meinem Kopf. Der Krieg zwischen ist und war. Wenn man eine Schwester hat, die gestorben ist, sind alle Zeiten kaputt. Außerdem kann man vom Gedankenaufschreiben nicht wirklich leben. Ma konnte es ganz offensichtlich nicht.
    «Ich mache uns eine heiße Schokolade», sagt Mrs Frisk.
    «Aber wir haben keine Marshmallows», sage ich.
    «Das werden wir überleben», sagt sie.
    Luke läuft ihr in die Küche hinterher. Sie ist kein schlechter Mensch. Sie hat sogar einen Teller Kekse mitgebracht, nicht selbst gebacken, glaube ich, aber doch nett von ihr. Und Luke scheint sie zu mögen, was ein gutes Zeichen ist. Hunde können unterscheiden, wer echt ist und wer falsch. Ich bücke mich und rubbele ihn einmal kräftig durch. «Er war krank», sage ich. «Aber jetzt geht’s ihm besser.»
    «Sie hatten doch auch immer einen Hund», sage ich.
    «Ja», sagt Mrs Frisk. Aber das ist offenbar nichts, worüber sie reden will. Ich vermute, es ist ein heikles Thema.
    «Rusty», sage ich. Und wie gut ich mich an den alten Rusty erinnere. Wie er sich immer aufregte und das ganze Fenster vollsabberte, wenn er jemanden aufs Haus zukommen sah.
    «Er war ein guter Hund», sagt sie, das war’s. Man hört praktisch den Punkt am Ende ihres Satzes. Alte Frauen mit Hunden und ohne Männer, das ist eine ganz schön ernste Angelegenheit, wenn man darüber nachdenkt. Mrs Frisk ist Witwe. Witwen gehen dem Tod wie Königinnen entgegen. Sie haben wirklich nichts mehr zu verlieren. Ich beobachte, wie sie die heiße Schokolade macht. Sie nimmt nicht das Fertigpulver, sie macht es auf eine altmodische Art, mit dem Kakao aus der Dose, dann Zucker, Milch und Salz. Sie hat eine Menge Schminke aufgetragen, nur zum Babysitten. Richtig geschichtet. Sie sah aus, als wäre sie bereit, wofür weiß der Himmel. Vielleicht für die Oper. Mir kam der Gedanke, den allerschrillsten Ton zu singen, direkt hier, in der Küche. Irgendwie fing mein Herz wieder an zu rasen.
    «Erinnern Sie sich an meine Eltern?», frage ich. «Als sie noch jünger waren?»
    «Ja», sagt sie, «natürlich.»
    «Bevor ihr Mädchen auf der Welt wart», sagt sie. Und dann seheich, wie ihr Gesicht zuckt. Sie weiß, sie hat das Falsche gesagt. Ich fühle, wie der Strom aus ihrem Körper weicht und in meinen schießt. Plötzlich ist die ganze Ladung bei mir, und ich bin diejenige, die alles in ihrer Gewalt hat.
    «Sie haben viele Fahnen auf Ihrem Rasen», sage ich. Sie lächelt und gießt die heiße Schokolade in zwei weiße Becher.
    «Setzen wir uns an den Tisch?», sagt sie. «Pass auf, dass dir nichts überschwappt.» Sie schenkt mir noch ein kleines Lächeln, und ich denke, vielleicht hat sie falsche Zähne. Jedenfalls sehen sie gefährlich aus.
    «Bei all den Fahnen», sage ich, «würde ich wetten, dass Sie den Terroristen nur den Tod wünschen.»
    «Also, darüber weiß ich nicht so gut Bescheid», sagt sie.
    «Wie viele Fahnen haben Sie?», frage ich. «Mindestens fünf, oder?»
    «Dein Vater möchte, dass du früh ins Bett gehst», sagt sie.
    «In der Schule», sage ich, «sind wir auf BetsyRoss.com gegangen, und da steht, man dürfe nicht vierundzwanzig Stunden am Tag Fahnen hissen. Nach BetsyRoss.com ist das illegal.»
    «Ach, das wusste ich nicht», sagt sie lächelnd.
    «Wenn man sie während der Dunkelheit hisst», erkläre ich weiter, «müssen sie ordnungsgemäß beleuchtet sein.»
    Sie nickt und hält immer noch an ihrem Lächeln fest.
    Ich erkläre ihr auch, Fahnenservietten, wie die Leute sie am vierten Juli benutzen, seien nach den offiziellen Bestimmungen ebenfalls illegal. Weil man sich Essen damit vom Mund wische und sie nachher in den Müll werfe.
    «Ich benutze keine Fahnenservietten», sagt sie.
    «Nein, ich wollte es ja nur gesagt haben. Das wäre nämlich Schändung.» Mein Herz pocht auf Hochtouren.
    «Trink deinen Kakao», sagt sie. «Solange er heiß ist.»
    Ich nehme einen Schluck, aber dann stehe ich auf. Manchmal habe ich wirklich Hummeln im Hintern.
    «Wo willst du hin?», fragt sie, und ich sage ihr: «Ich habe

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