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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sieht aus, als würde sie einen doppelten Herzanfall bekommen, wenn diesen beiden etwas zustieße.
    Über die Lautsprecher kündigt eine Stimme den nächsten Halt an, und Mrs Tayssir springt auf, als hätte sie jemand in den Po gezwickt. «Oh», sagt sie, «wir müssen raus.» Sie packt hastig ihre Sachen zusammen. «Das lasse ich dir da», sagt sie und meint das Essen.
    «Auf Wiedersehen», sagt sie. «Ich werd’s Eyad erzählen, dass ich dich getroffen habe.»
    Ein paar Männer blicken auf, als sie an ihnen vorbeigeht. Ich hoffe nur, dass keiner sie niederschlägt, vor allem nicht, wo sie doch ihre Kinder dabeihat. Trotzdem, ich sage es ganz ehrlich, irgendwie war ich erleichtert, dass sie weg war. Kaum war sie zur Tür hinaus, guckte ich unter den Sitz, um sicher zu sein, dass sie nicht irgendwelche verdächtigen Bündel zurückgelassen hatte. Ich wollte sie damit nicht beleidigen, es war nur das, was man mir eingeschärft hatte.
    Als ich aus dem Fenster gucke, starrt mir die
von den Feen Geborene
in die Augen und hält dabei die Plastikgiraffe hoch. Wie kommt sie zu diesem Namen? Es ist, als hätte sie ihn mir gestohlen. Und plötzlich war ich außer mir vor Wut auf Ma und Pa, dass sie mir nie gesagt hatten, was mein eigener Name bedeutet. Wahrscheinlich wussten sie es gar nicht, wahrscheinlich fanden sie einfach nur denKlang schön. Aber das Komische ist, ich war höchstens zwei Sekunden wütend, weil mir dann
Niemeg
einfiel und die Art, wie Anna es zu mir gesagt hatte, und ich wünschte mir nur noch, in ihren Armen zu sterben. Wieder dieser blitzartige Liebespfeil. Ich fragte mich, was genau die weiße Nonne mir da eingegeben hatte, und wie lange es anhalten würde. Musste ich jetzt damit rechnen, alle fünf Minuten von diesen blöden Liebes-Herzanfällen umzukippen? Sie waren nicht sehr angenehm, nachdem alle, an die ich dachte, praktisch aus meinem Leben gerissen waren.
    Draußen sind Mrs Tayssir und ihre Kinder jetzt von anderen Frauen umgeben, die genau solche Tücher tragen. Ich frage mich, ob es vielleicht ihre Schwestern sind, die sie vom Bahnhof abholen. Der Zug fährt wieder an, und ich schaue ihnen nach, bis sie verschwunden sind. Ich wüsste gern, wohin sie gehen, was sie machen. Sich irgendwo in den Bergen niederbeugen und beten? Ihre heimlichen Pläne aushecken? Oder gehen sie einfach zu jemandem nach Hause, sehen fern und erzählen sich Witze wie ganz normale Leute? Wie Schwestern überall.
    Ich bin fast da. Ich schließe die Augen und überlasse mich dem Zug, der mich davonträgt. Weiter und weiter von allen entfernt. Alleine, denke ich. ALLEINE . Eniella rückwärts buchstabiert. Wenn Anna es französisch sagen würde, käme wahrscheinlich Enola dabei heraus. So hieß das erste Flugzeug des Bösen damals, vor langer Zeit. Aus seinem Bauch fiel die erste große Bombe. Aber das war ein anderer Krieg, eine alte Geschichte. Alles war noch in Schwarz-Weiß. Das konnte man sich viel besser anschauen.

Achtunddreißig
    Ich hatte zwar keine Giraffe, dafür aber haufenweise andere Plastiktiere, als ich in ihrem Alter war. Kühe und Schweine und Pferde, alles in winzig. Es gab Löwen und Bären und sogar Dinosaurier und Wollmammuts. Außerdem hatte ich zwei kleine Männer, einen Cowboy und einen Höhlenmenschen. Ich glaube, es muss eine bunte Mischung aus verschiedenen Spielen gewesen sein. Ich baute sie immer auf dem Küchentisch auf, und manchmal, wenn ich Lust hatte, machte ich Hügel und Höhlen aus Knetgummi. Einmal kochte Ma gerade und steckte etwas Brokkoli in einen Batzen brauner Knete, und es waren die schönsten Bäume.
    Am Tag der Brokkoli-Entdeckung setzte Ma sich mit mir hin, und wir erfanden zusammen eine ganz neue Welt für die Tiere. Ma stellte den Höhlenmenschen so neben das Pferd, dass man die beiden fast miteinander reden hören konnte. Und dann verliebte sich ihr Brontosaurus in ein Schwein. Ich legte ein Schaf auf die Seiten und tat den Löwen dazu. Es waren Dschungel und Bauernhof und
Das vergessene Land
in einem. Ma und ich sprachen nicht, wir waren einfach fleißig wie Gott und seine Helferin, taten, was zu tun war. Und das eine ziemlich lange Zeit. Als Pa nach Hause kam, ging er dreimal um den Tisch, so beeindruckt war er. Helene sagte, sie wisse einen guten Job für mich, ich könne die Schaukästen beim Museum für Naturgeschichte einrichten, wo sie mit der Schule gewesen war. Sie sagte immer, das sei ein Ort, der mir gefallen würde. «Du hast echt ein gutes Auge», sagte

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