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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Minute kommt der Wetterbericht, Harold», schreit sie. Und ich bin froh, dass sie so offen ihre Linie vertritt. Was kümmert einen der Krieg, wenn man das Wetter haben kann.
    «Ich nehme fünf», sage ich, und Herold nimmt den Deckel von dem Glas.
    «Die sind nix für dich.» Die alte Dame steht plötzlich in der Türöffnung. «Gib ihr die nicht, Harold.» Sie kommt in ihren Pantoffeln angeschlurft und zieht mir ein Gesicht. «Brennt im Mund», sagt sie.
    «Warum gehst du nicht wieder nach hinten», sagt Harold zu ihr.
    «Guck du das Wetter für mich», sagt er. Aber die alte Dame rührt sich nicht vom Fleck.
    «Wie wär’s mit denen?», fragt sie und klopft mit ihrem dürren Finger an ein Glas voller klebriger schwarzer Fische.
    «Gut», sage ich. «Fünf von denen.» Ich hoffte nur, dass es kein Lakritz war.
    Obwohl ich fünf gesagt hatte, schaufelte sie mir einen ganzen Schwarm schwarzer Fische in eine Tüte. Und am Ende wollte sie sogar nur fünfzig Cent von mir haben. Wenn ich ehrlich sein soll, ichglaube, sie mochte mich irgendwie. Sie lächelte mich an wie ein Neugeborenes. Ich lege zwei Münzen auf den Ladentisch. «Ich habe noch Geld übrig», sage ich für den Fall, dass sie mir noch etwas verkaufen wollen.
    «Gib es den Armen», sagt die alte Dame und klimpert mit den Augen. Na gut, dann eben nicht, sie war ja schließlich ganz der Glitzertyp in ihrem Bademantel und den Schlurfpuschen. Aber wer weiß, vielleicht war sie in ihren guten Zeiten wirklich ein Stummfilmstar gewesen. Im Ernst. Sie hatte das Gesicht dafür. Faltig wie sonst was, aber sehr ausdrucksvoll. Es ist erstaunlich, wie manche Leute alt werden und trotzdem nicht vollständig verschwinden. Wie sie immer noch ein Flackern in ihren schwachen Augen haben. Ich sah mir die beiden noch einmal gut und lange an. Ich las in ihren Gesichtern. Sie war jedenfalls ein Vogel. Und er war eine Echse.
    Ich fragte sie nach ihrem Namen, und sie hieß Lily Gold. Passender ging es nicht.
    Als sie mich nach meinem Namen fragte, sagte ich Aileen. Das ist ein hässlicher Name, aber es war das Erste, was mir einfiel. Komisch, die ganze Zeit, während ich mit ihr sprach, wirkte Harold irgendwie verlegen. Warum weiß ich nicht. Er kreiste um uns herum und tat so, als staubte er die Brezeln ab. Ich glaube, vielleicht schämte er sich etwas für Lily.
    Bevor ich gehe, frage ich nach dem Weg zum Larson Court. «Ich habe eine Freundin dort, Nummer 28», erkläre ich.
    «Das ist einfach», sagt Lily Gold. «Harold», sagt sie, «mal dem Mädchen einen Plan.»
    Der alte Mann zieht eine Papiertüte heraus und fängt an, den Weg mit einem Kuli aufzumalen. Als er die Straßennamen hinschreibt, bin ich mir sicher, dass es dieselbe Hand ist, die OFFEN auf das Herz gekritzelt hat. Er gibt mir den Plan, und ich gucke ihn mir an. Es ist ein Krickelkrakel, fast unleserlich.
    Beim Rausgehen stecke ich fünf Dollar in ihren Briefkasten. Es war nichts drin außer einer toten braunen Spinne. Ich gucke noch mal auf den Plan, und mein Magen tut einen kleinen Hüpfer. Harold hat ein Ausrufungszeichen hinter die Adresse gemacht. 28 Larson Court!
    Ich bummele die Straße hinunter, immer Harolds Pfeilen nach. Am Ende der Mercer Street merke ich, die komische krumme Linie, die Harold dahin gemalt hat, soll eine Brücke sein, denn ich blicke von dem Plan auf, und da ist sie. Nur eine kleine Brücke, die über einen Bach führt, aber ich zögere trotzdem. Das Wasser strömte wirklich mächtig. Und dazu war die Brücke ganz aus Stein. Man konnte nicht sicher sein, ob sie nicht genau in dem Moment, wenn man direkt in der Mitte war, zusammenkrachen würde.
    Beschütze mich, sage ich zu niemandem im Besonderen, und dann gehe ich los. Genau siebenunddreißig Schritte bis auf die andere Seite. Zusammengezählt ergibt das zehn, also Glück nach meinen Regeln. Trotzdem war ich ein Nervenbündel, als ich drüben ankam.
    Nach Harolds Plan kann es nicht mehr weit sein, aber ich mache kurz Pause in einem Geschäft mit Haushaltswaren, nur um mich aufzuwärmen. Drinnen gibt es eine Poststelle, und von meinem letzten Dollar kaufe ich eine Ansichtskarte mit Pferden drauf. Ich adressiere sie an Ma und Pa, weiß aber nicht, was ich auf die leere Fläche schreiben soll.
    «Sieht man, dass die aus Desmond kommt?», frage ich die Frau an der Kasse, und sie sagt: «Ja, am Poststempel.»
    Also schicke ich sie, wie sie ist, ohne Nachricht.

Neununddreißig
    Ich sehe die 28 auf der anderen Straßenseite. Rot auf den

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