Matrjoschka-Jagd
Schulter zurück.
Nore Brand nickte den beiden Spaziergängerinnen zu und trat auf den Weg, als Elsi Klopfensteins Stimme durch das offene Fenster ertönte.
»Frau Brand, warten Sie. Da ist noch etwas.«
Nore Brand blieb stehen und sah Elsi Klopfenstein wieder auf der Schwelle erscheinen mit einem bunten Abwaschtuch in der Hand. »Letzthin hat sie etwas von einer Frau erzählt. Ich kann mich aber nicht mehr an den Namen erinnern. Er klang so fremdländisch.«
»Etwa Petrovic? Jelena?«
»Ja, mit Itsch am Ende.«
»In welchem Zusammenhang hat sie diesen Namen erwähnt?«
»So genau weiß ich es nicht mehr. Sie war erstaunt, dass jemand mit so viel Grips im Kopf eine so erniedrigende Arbeit machen muss, aber mehr weiß ich nicht, weil wieder jemand kam und ich Kaffee holen musste.«
Nore Brand ging zu ihrem Wagen zurück. Unterwegs hatte sie einen Gedanken, den sie, kaum gedacht, rasch verwarf.
Trotzdem. Wäre Elsi Klopfenstein zwecks Aufbesserung der Saisoneinkünfte zu so einer Tat fähig? Bei dem Geschäftssinn, den diese Frau an den Tag legte.
Morden, damit die Kasse stimmt. Das war unheimlich viel naheliegender als so manches. Diese Frau war vollauf beschäftigt mit Zwetschgenkuchen-und-Rahm-Erwägungen. Schließlich hing ihre Existenz davon ab.
Nore Brand verwarf diesen Gedanken. Elsi Klopfenstein fuhr mit ihrem Messer mit größter Wahrscheinlichkeit lieber durch frische Fruchtkuchen als durch die Kehlen alter Millionärinnen.
Nore Brand umfuhr das Dorf, um an die andere Talseite zu gelangen. Sie hielt auf dem Vorplatz eines Bauernhofs an, von dem aus man den See und die Umgebung leicht überschauen konnte.
Ein Brunnen und ein schmaler Vorplatz trennten die Straße vom Haus. Kaum hatte sie angehalten, trat ein Mann aus dem Stall. Er blieb einen Augenblick stehen und ging dann weiter zum Hofbrunnen, wo er die Arme bis zu den Ellbogen ins kalte Wasser tauchte.
Nore Brand stieß die Wagentür auf und stieg aus.
Der Mann packte das Handtuch, das auf dem Brunnenrand lag, dann wandte er sich fragend zu ihr um.
»Guten Morgen. Ich bin Nore Brand. Kriminalpolizei.«
Er nickte überrascht.
»Darf ich Sie kurz etwas fragen?«
»Wenn es schnell geht.«
Er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe, die blonden Haare standen widerspenstig von seinem Kopf ab.
»Sie haben bestimmt von diesem Unfall gehört?«
»Letzten Samstag? Ja, natürlich, das ist immer noch das Dorfgespräch«, sagte er. »Eine sehr reiche Frau soll sie gewesen sein.«
»Ja, das kann man sagen.«
»Das Belvedere ist ja auch nichts für Arme«, spottete er, doch sein Gesicht blieb ernst. »War es etwa kein Unfall?«
»Das versuchen wir herauszufinden.«
»Etwas spät für Abklärungsarbeiten, oder nicht?«
Nore Brand antwortete nicht. Sie schaute ins Tal hinunter. »Von Ihrem Hof aus sieht man weit. Man hat freie Sicht auf den See.«
»Und nun denken Sie, ich könnte ein Zeuge sein.« Er kratzte sich am Hinterkopf und schaute sie belustigt an. »Aber kommen Sie mit mir«, sagte er und ging ihr voraus durch den Garten, der sich auf der rechten Seite über den Hang erstreckte. Die Erde roch nach Herbst. In den Beeten standen fette Kohlköpfe, ergraute Stockrosen und müde Sonnenblumen. Das andere Grünzeug kannte sie nicht mit Namen.
Am unteren Zaun, der den Garten von der Wiese trennte, blieb der Mann stehen. »Es ist so, wie Sie sagen. Von hier aus sieht man bis zum Steg. Aber schauen Sie, die Entfernung ist zu groß. Mit bloßem Auge erkennt man nur wenig.«
Ihre Augen suchten die Gegend ab. Ihr fiel ein Pfad auf, den sie unten am See nicht gesehen hatte. Er führte den Wald entlang und auf der Höhe der Seemitte hinunter auf den Jagd- und Trampelpfad der Kurgäste. »Was ist das für ein Weg?«
Er war ihrem Blick gefolgt. »Früher gingen viele Kurgäste etwas oberhalb des Sees spazieren, weil der untere nicht befestigt war.«
Eine Kuh hatte sich dem Zaun genähert. Ein dumpfer Laut drang aus ihrem runden Leib. Der Bauer brummte ihr etwas zu und kraulte sie am Hals.
Er wies auf die Hauswand, die Fenster, die ins Tal zeigten. »Das ist unsere Wohnstube. Dort sitzen wir nur am Abend, und auch wenn wir dort gewesen wären … man müsste ja genau im richtigen Moment hinschauen, oder? Auch dann … wer würde seinen Augen trauen, auf diese Entfernung …
Sie gehen von einem Verbrechen aus?«, fragte er, als sie durch den Garten zurückgingen.
»Ja, wir müssen das annehmen.«
»Entschuldigen Sie, aber warum kann Bucher das nicht
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