Matrjoschka-Jagd
selbst erledigen?«
»Überbelastung, er hat gesundheitliche Probleme.«
Der Bauer schmunzelte, doch seine Augen blieben ernst. »Ich hätte auch gesundheitliche Probleme, wenn man mir derart auf der Nase herumtanzen würde.«
»Was meinen Sie damit?«
»Bucher wird nicht ernst genommen. Ich sage Ihnen nur, was ich gehört habe, als ich mit meiner Familie vor fünf Jahren hierher zog. Genau betrachtet, sind wir hier noch nicht ganz angekommen. Kühe, Kälber und Rinder gedeihen prächtig, unsere Kinder auch«, fügte er nach einer kleinen Pause lachend bei. »Immerhin hat die Natur uns willkommen geheißen, nur die Menschen lassen sich noch etwas Zeit.«
Nore Brand fuhr zurück. Unten auf dem Dorfplatz herrschte Hochbetrieb. Viehwagen fuhren vor, Ziegen wurden aus den Wagen gezerrt, gejagt oder herausgelockt. An der Mauer, die den Dorfplatz von der Durchgangsstraße abschloss, drängten sich Touristen und einheimische Schaulustige. In den allgemeinen Lärm mischte sich aufgeregtes Ziegengemecker. Die Viehschauer gingen, sich ihrer Wichtigkeit sehr bewusst, mit gestreckten Rücken, engen Augen und skeptisch zusammengekniffenen Lippen zwischen den Viehreihen auf und ab. Hin und wieder blieben sie stehen, um ein paar Worte mit den Besitzern zu wechseln. Am Ende des Platzes stand ein Karussell, die steifen Zirkuspferdchen warteten in gestrecktem Galopp auf die kleinen Reiter, die vorläufig noch beschäftigt waren mit den lebenden Tieren. Aus einem Wohnwagen roch es nach Kaffee und Würsten. Eine Marktfrau warf einen kritischen Blick zum Himmel. Sie beschloss, dass es trocken bleiben würde, und begann mit energischen Bewegungen, Stühle und Tische aus weißem Plastik aus ihrem Wohnwagen zu zerren. Zwischen dem Karussell und dem Imbissstand hatte ein Käser seine Produkte aufgestellt und wartete auf Kundschaft. Am anderen Ende des Platzes erkannte Nore Brand Johanna Rieder; sie stand mit einer anderen Frau in ein Gespräch vertieft. In ihrer Nähe tollte sich Moritz mit ein paar gleichaltrigen Buben; sie tobten zwischen den Tieren hin und her und neckten die jungen Böcke. Nore Brand schaute zwei kleinen Böcken zu, die sich auf einen nachbarlichen Kampf eingelassen hatten. Zornig stellten sie sich auf die kurzen Hinterbeine und warfen sich mit gesenkten Hörnern aufeinander. Sie übten für den großen Kampf. Kinder tanzten schreiend und lachend um sie herum, bis eine kleine stämmige Frau in braunen Kordhosen und weiter Daunenjacke die beiden kampflustigen Tierchen voneinander trennte. Ein großer Bock in der Nähe würdigte den aufgeregten Kampf keines Blickes; er widmete sich gefräßig den Geranien, die vor seiner Nase herunterhingen.
Zwei Frauen in Wanderschuhen und karierten Blusen blieben hinter Nore Brand stehen.
»Wie diese Böcke stinken. Das ist ja nicht zum Aushalten«, rief die eine.
»Frag mal eine Geiß, ob der Bock stinkt«, schrie die andere zurück.
Laut lachend marschierten sie in Richtung Bergbahn davon.
DIE RUSSEN-MAFIA
Ein schlanker junger Mann schob ein Gestell, voll behängt mit Jacken, Pullovern und Hemden, vor das Geschäft, betrachtete die Auslage und verschwand wieder im Laden. Auf der andern Seite des Einganges stand ein Tisch mit Sportschuhen und Winterstiefeln bereit. Bunte Schilder verkündeten den Preissturz der Saison.
Nore Brand parkte den Wagen. Vielleicht erfuhr sie hier etwas. »Guten Morgen«, grüßte sie.
Der Ladenbesitzer, vielleicht 30 Jahre alt, schaute ihr lächelnd entgegen.
Seiner Gesichtsfarbe nach verbrachte er jede freie Minute an steilen Bergwänden. Sein Körper war biegsam und leicht. Er musste über genau diese Beweglichkeit verfügen, nach der Nore Brand sich sehnte, wenn sie mal für kürzere Zeit ihre mangelhafte Disziplin überwand.
»Heute Morgen waren Sie am See spazieren. Ich habe Sie gesehen.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich musste ein bisschen joggen. Man ist doch erst ein Mensch, wenn man morgens so richtig geschwitzt hat.«
»Entschuldigen Sie, aber ich bin nicht privat hier.« Sie zog schnell ihren Ausweis aus der Tasche und hielt ihn unter seine Augen. »Und am Samstag? Waren Sie da auch am See?«
Die Steilfalte zwischen seinen Augen wurde tiefer. »Ich kann Ihnen leider nicht behilflich sein in dieser Sache. In den letzten drei Wochen habe ich eine kleine Fußverletzung auskuriert. Laufen lag nicht drin. Erst heute Morgen bin ich wieder unterwegs gewesen. Für ein leichtes Footing. Zum Angewöhnen. Aber ich hätte
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