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Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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soll man nicht reden. Die sind einfach so. Heute hat man keine Ahnung mehr vom Leben. Vom Tod noch weniger. Nur eines ist sicher, hier im Tal warten die Toten länger als anderswo, bevor sie in der Ewigkeit verschwinden.«
    In diesem Augenblick leuchtete der gegenüberliegende Berghang hell auf. Die Sonne hatte ein Wolkenfenster gefunden. Der Nebel stieg aus der Talmulde auf und vermischte sich mit den tief hängenden Wolken.
    Elsi Klopfenstein schaute zum Himmel. »Der Föhn wird den Regen noch einige Stunden aufhalten. Das ist gut fürs Geschäft.«
    »Hat Frau Ehrsam jemals eine körperliche Schwäche erwähnt?«
    Elsi Klopfenstein zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Manchmal das Herz, glaube ich, aber sie hat nicht geklagt. Die Kurgäste hier jammern doch dauernd, das hat sie nie getan. Sie wirkte eigentlich gesund. Fast gesünder als ich«, fügte sie bei. »Sie hat auch nie diese Arbeit verrichten müssen. Nein, ihr ging es immer gut. Aber dass sie so sterben musste.«
    »Wie würden Sie Frau Ehrsam beschreiben?«
    »Stolz war sie, aber ich glaube, das hatte nichts mit dem Geld zu tun. Manchmal dachte ich, sie könnte mir ein paar Fränklein zustecken, wo sie doch so viele hat. Das wäre ihr wohl nie in den Sinn gekommen. Dann hätten viele etwas von ihr gewollt. Überhaupt glaube ich, dass Geld sie langweilte. Alles wird langweilig, wenn man zu viel davon hat, oder?«
    »Vielleicht«, erwiderte Nore Brand. »Kam sie immer allein?«
    »Ja, das hat vor Jahren manche gewundert. So viele finden hier Kameraden, spazieren zusammen, füttern gemeinsam die Enten und trinken Kaffee zusammen, spielen Karten. Da fällt auf, wenn jemand allein bleibt. Aber Frau Ehrsam war nicht einsam. Sie wollte nur nicht mit Weibern, genau so sagte sie das, zusammenhocken und tratschen. Immer diese Krankengeschichten und vor allem diese elenden Geschichten über die verstorbenen Ehemänner. Das war ihr ein Graus. Sie hatte ja einen guten Mann gehabt.« Sie dachte nach. »Aber für mich ist das gut: Je länger sie erzählen, um so mehr trinken sie.«
    Elsi grunzte zufrieden. »Wenn Sie wüssten, was mir hier zu Ohren kommt. Wenn meine Ohren dabei wachsen müssten, dann hätte ich Ohren wie sieben Elefanten zusammen. Aber Frau Ehrsam brauchte niemanden. Sie wurde auch nie besucht. Sie wollte es nicht. Sie wollte wenigstens ein paar Wochen im Jahr ihre Ruhe haben. So war sie. Wenn sie im August hier war, dann ging sie häufig in die Konzerte der musikalischen Sommer-Akademie. Im August fiedelt und dudelt es überall im Dorf. Sie liebte klassische Musik. Nach einem besonders schönen Konzert saß sie manchmal am See und trällerte vor sich hin. Mozart war immer richtig für sie. Für mich muss es eher ein lüpfiger Ländler sein, ein Örgeli-Quartett mit einer flotten Bassgeige.«
    »Sie hatte also niemanden hier oben, außer Ihnen?«
    Elsi Klopfenstein wurde leicht verlegen, sie musste diese Frage für ein Kompliment halten. »Vor vielen Jahren sprach sie oft vom Direktor, vom Sohn, meine ich natürlich. Der kam zurück, weil sein Vater sich zurückziehen wollte. Das muss vor 20 Jahren gewesen sein. Vielleicht auch etwas mehr. Meine Güte, die Zeit vergeht ja so schnell. Ganz schwindelig wird einem dabei. Aber«, sie hob den Zeigefinger und machte eine bedeutungsvolle Pause. »Ich glaube, sie hat ihn ganz gern gesehen. Er war auch noch schöner damals und hat vielen Frauen den Kopf verdreht. Das war weit herum bekannt. Er hat die Welt bereist und in Australien viele Jahre lang ein Hotel geführt.«
    Den angelsächsischen Tweedstil hatte er sich also dort angeeignet.
    »Zugegeben, er ist ein charmanter Mann. Wenn er nur nicht so dummes Zeug daherreden würde. Wer weiß, vielleicht wollen die Leute, dass ein Hoteldirektor das tut.«
    »Sonst hat sie von niemandem gesprochen?«
    »Nein, ich kann mich nicht erinnern. Wir haben etwa über das Wetter gesprochen, über Gott und die Welt. Nichts Besonderes.« Mitten im Satz richteten sich ihre Augen auf den Weg, Stimmen und Schritte näherten sich.
    Nore Brand begriff. Das Gespräch war zu Ende. Elsi Klopfenstein musste sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Zwei ältere Frauen kamen zielstrebig des Weges, direkt auf die Bretterbude zu.
    »Jetzt muss ich aber an die Arbeit«, sagte Elsi Klopfenstein entschlossen.
    Nore Brand erhob sich. »Falls Ihnen noch etwas einfällt …«
    »Ich glaube nicht. Ich habe alles gesagt. Vielleicht kommen Sie ja noch mal vorbei!«, rief sie über die

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