Matrjoschka-Jagd
Menschheit, habe sie zu ihm gesagt. Er fürchtete, dass sie ihr Vermögen einer Sekte vermachen würde. Er vertraute ihr nicht mehr. Er sprach sogar von einem Vormund. Das fand ich unerhört. Und das habe ich ihm auch direkt gesagt. Wissen Sie, meine Schwester wollte in ihrer Jugend einmal der Heilsarmee beitreten. Wir merkten dann, dass sie da einen Schatz hatte. Das war zwar schnell vorbei, aber immerhin war es ihre erste große Liebe. Und das bleibt doch ein Leben lang wichtig, die erste große Liebe. Als sie dann Kommunistin wurde, hat das der ganzen Familie die Sprache verschlagen. Ich habe meinen Vater nie sprachlos erlebt, aber als Klara uns das damals mitteilte, war er doch für eine Weile so perplex, dass ihm nichts mehr in den Sinn kam.«
Fräulein von Wyberg schlug sich auf die Knie und lachte laut und herzlich, wie über einen besonders gelungenen Streich ihrer jüngeren Schwester. »Sie war stolz darauf, dass Lenin in Bern gelebt hat, in der Länggasse. Da waren ja noch viele andere Kommunisten, die Namen habe ich vergessen. Aber für unsere Eltern war eine Kommunistin in der Familie eine schlimme Sache. Es gab Leute in der Nachbarschaft, die sie die rote Klara nannten. Sie lachte darüber und fand das wunderbar. Das ist lange her. Dann ist sie eben eines Tages Millionärin geworden, was vermutlich nicht gut zu ihren kommunistischen Ideen passte. Aber was erzähle ich Ihnen da. Auf jeden Fall hat mein Neffe mich nicht oft angerufen in meinem Leben, doch plötzlich hatte er das Gefühl, ich müsste mit ihr reden, damit sie keine Dummheiten mache. Das habe ich dann getan, obwohl ich wusste, dass das nicht gut war. Sie war doch längst erwachsen«, sie lächelte entschuldigend, als sie merkte, was sie gesagt hatte, »und sie wusste selbst, was richtig ist. Trotzdem musste ich mit ihr reden, für den Familienfrieden. Das Geld muss doch immer in der Familie bleiben, so war es immer und so ist es doch recht.«
»Wie hat sie darauf reagiert?«
»Wütend, sehr wütend. Ich hätte es wissen müssen. Natürlich hat sie den Hörer ziemlich rabiat aufgelegt. Das war unser letzter Kontakt. Und das beschäftigt mich sehr. Das hätte nicht unser letztes Gespräch sein dürfen.«
Die Frau lehnte sich im Stuhl zurück.
»Und wann war das?«
Fräulein von Wyberg schwieg eine Weile, bevor sie antwortete. »Das weiß ich nicht mehr so genau. Vor einem Monat vielleicht. Ich hätte es besser wissen müssen. Schließlich ist es das Geld ihres Mannes und das geht mich nun wirklich überhaupt nichts an. Meine Schwester hatte oft so verrückte Ideen. Sie trug den teuersten Schmuck, einfach so. Manchmal hängte sie sich alles um, was sie besaß und machte sich lustig über die runden Augen der Leute. Ihr Mann freute sich immer darüber, auch er war ein richtiger Spaßvogel, er sagte jeweils, sie sei wieder mal aufgedonnert wie ein Zirkusgaul, wo sie denn am liebsten hingehen möchte, um die Leute durcheinanderzubringen. Sie war immer unterwegs, immer wieder in Russland natürlich. Wenn sie zurückkam, tat sie geheimnisvoll, aber ich vermute, dass sie die Suche nach diesem Bernsteinzimmer nie richtig aufgegeben hat. So ein verrücktes Mädchen war sie, den Kopf immer voller Flausen. Bis an ihr Ende, muss ich nun fürchten.«
»Sie wollte nach St. Petersburg, zu einer Fossilienausstellung.«
Fräulein von Wyberg dachte nach. »Fossilienausstellung? Ich glaube nicht, dass sie sich wirklich für Fossilien interessiert hat. Eher für Kunst und Literatur. Aber Bernstein ist doch etwas Fossiles, soviel ich weiß, nicht wahr? Und in St. Petersburg hatte sie viele Freunde.«
»Und welche Rolle hat der Direktor vom Belvedere in ihrem Leben gespielt?«
»Oh, der Direktor? Dieser Schlawiner. Ihm ist schon lange bekannt, dass sie ihn begünstigen wird. Alle älteren Damen, die ihn kennen, berücksichtigen ihn in ihrem Testament. Darauf würde ich jede Wette abschließen.«
»Wissen Sie das genau?«
»Wer weiß das nicht.« Fräulein von Wyberg kicherte. »Meine Schwester war lange Zeit eine sehr attraktive Frau und ich glaube, der junge Herr Direktor, der damals eigentlich auch nicht mehr so jung war, hatte einen Hang zu reiferen Frauen. Damals jedenfalls. Meiner Schwester sah man niemals an, dass sie 60 war. Sie war immer sportlich. Und elegant dazu. Er war ihre letzte Affäre, glaube ich. Obwohl«, sie zwinkerte ihr schelmisch zu, »ich traue ihr zu, dass es später auch noch einiges gab. Bloß sprach sie nicht mehr darüber.
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