Matrjoschka-Jagd
sie könnten. Wie schade, dass sie nicht mehr da sind.«
Nino Zoppa lachte. »Du bist heute aber ausgeschlafen.«
»Ja, das war wieder mal an der Zeit. Noch etwas, wenn du mit den Menschen ins Gespräch kommst, frag doch auch nach einer alten Geschichte mit drei Toten. Elsi Klopfenstein wartet auf den dritten Toten. Es scheint so eine Geschichte herumzugeistern im Tal.«
»Der dritte Tote? Und was hältst du davon?«
»Keine Ahnung. Aber wir müssen eine weitere Antenne ausfahren.«
»Wartest du denn auch auf einen dritten?«
Nore Brand rieb sich die Nase. »Ja. Inzwischen schon, leider.«
Die Unsicherheit der ersten Male war endgültig verflogen, als Nore Brand das Grandhotel betrat, denn hier war ohne jeden Zweifel ein ziemlich dicker Hund begraben.
Das glatte Gesicht von Viktor Heller schaute ihr lächelnd entgegen. Wie immer.
Wie hatte Nino Zoppa gesagt? Krawattenratte oder so etwas.
Sie lächelte zurück. Etwas in seinem Gesicht hatte sich verändert. Eindeutig zu ihren Ungunsten.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte mit Herrn Simmer sprechen.«
»Einen kleinen Augenblick«, bat er immer noch lächelnd, »ich schaue gleich nach, ob er im Zimmer ist.« Er hob den Hörer und drückte auf einen Knopf. Sein Gesicht blieb unverändert freundlich. Nach ein paar Sekunden suchte er ihre Augen. »Er scheint nicht in seinem Zimmer zu sein. Vielleicht ist er noch beim Frühstück.« Er legte den Hörer zurück und überlegte, dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Vielleicht darf ich Ihnen inzwischen etwas zu trinken anbieten?«
»Frau Brand.«
Wenn man an den Wolf denkt … Sie drehte sich um.
Der Direktor stand vor ihr. »Ich hatte gehofft, dass Sie uns nicht mehr besuchen müssen.«
Auch er missbilligte ihr Erscheinen.
»Ich möchte mit Herrn Simmer reden. Jeremias Matthäus Simmer.«
In seinen Augen blitzte es auf. Hatte sie ihn beleidigt?
»Herr Simmer ist nicht oben«, erklärte Herr Heller.
»Natürlich nicht«, sagte der Direktor, ohne ihn dabei anzusehen. »Er ist außer Haus. Der lokale Kunstverein hat ihn eingeladen, für einen Vortrag.«
»Künstler sind gefragte Menschen«, sagte Nore Brand verständnisvoll.
»Ja«, bestätigte der Direktor. »Einer wie Simmer ganz bestimmt. Alles reißt sich um ihn. Aber morgen früh sollte er wieder zu sprechen sein.«
Seine Stimme verriet, wie sehr ihn Nore Brands Anwesenheit irritierte. Ihr Erscheinen dürfte ihm klargemacht haben, dass sie Kumpeleien und Parteifreundschaften ignorierte. Für ihn musste das unerträglich sein.
»Vielleicht können Sie ihm ausrichten, dass ich mich ernsthaft für den Clown Nummer sieben interessiere.« Sie zeigte auf das Bild, das gegenüber dem Lift hing. »Ich habe den Künstler letzthin in der Hotelhalle getroffen. Wir haben uns über diese Kunstwerke unterhalten.«
Damit hatte er nicht gerechnet. »Sie wollen das kaufen?«
»Ja.«
Der Direktor schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich wusste nicht, dass unsere Polizei …« Er suchte nach Worten.
»Ja. Im Allgemeinen hält man Polizisten für Kulturbanausen, ich weiß«, kam sie ihm zuvor.
Er verneigte sich leicht. Der Spott in seiner Haltung war unverkennbar. »Das meinte ich selbstverständlich nicht, Frau Brand. Ich dachte bloß, dass diese Kunst etwas teuer ist für ein Beamtenbudget.«
Heute hatte sie einen Pfeil mehr im Köcher als er. Sie schaute ihm gerade ins Gesicht.
»Man erbt ja hin und wieder etwas, nicht?«
Seine Augen verengten sich auf einen Schlag. Also doch.
»Außerdem habe ich eine alte Dame kennengelernt, die ihn gerne sehen würde.«
Der Direktor zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
»Verwandtschaft«, sagte Nore Brand, knöpfte ihre Jacke zu, wünschte einen schönen Tag und ging. Sie spürte, wie zwei Paar Augen ihr fassungslos nachschauten.
Die Abwesenheit von Jeremias Matthäus Simmer hatte etwas zu bedeuten. Das spürte sie deutlich. Jeremias Simmer und Frau Ehrsam, die rote Klara, sozusagen langjährige Bekannte, hielten sich zur selben Zeit im selben Hotel auf. Wie war es möglich, dass sie einander nie begegnet waren? Oder hatten sie einander nicht erkannt? Hatten sie einander gar nicht erkennen können?
Bevor Nore Brand sich auf den Weg nach Basel machte, bog sie auf den Parkplatz einer kleinen Imbissstube gegenüber dem Gemeindehaus ein. Sie setzte sich ans Fenster und bestellte die Tagessuppe.
»Sie ist ganz frisch«, versicherte der pausbäckige Junge, der sie bediente. »Wir mussten zweimal kochen. Heute
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