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Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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wollen alle Suppe.«
    Suppenwetter, dachte Nore Brand und schaute aus dem Fenster.
    Der Eingang zum Gemeindehaus war beleuchtet. Menschen mit nass glänzenden Regenmänteln drängten sich vor der Eingangstür.
    »Ist heute eine Versammlung?«
    Der junge Mann war in Plauderstimmung. »Nein, Theater«, sagte er und zeigte auf ein großes Plakat, das in der Nähe der Tür hing. »Max, das ist mein Bruder, spielt Theater. Mit seiner Klasse. Er ist der Kommissar«, erzählte er stolz. »Meine Schwester Mädi wird umgelegt, sie ist eine Krankenschwester im Irrenhaus, nur im Stück natürlich. Aber es passt zu ihr. Sie spinnt oft. Aber das Stück ist cool.« Er deutete auf das Plakat.
    Grellgelbes Papier, weithin sichtbar. Darauf baumelte eine Figur an einer Vorhangstange wie an einem Galgen, eine Krankenschwester in ihrer weißen Tracht, die Haube fiel ihr über das Gesicht, die Zunge hing gewaltig und blau aus dem weit geöffneten Mund. Sie klammerte sich noch im Tod an ein überdimensioniertes Fieberthermometer. ›Die Physiker‹ stand in Unheil verkündenden, dunklen Buchstaben auf dem Galgen. Frakturschrift. Sie erinnerte sich undeutlich an den Schulklassiker.
    »Kommt sie an den Galgen?«
    »Nein«, erwiderte er, »zum Glück nicht. Die ist viel zu fett, der Galgen würde zusammenbrechen.« Tiefe Verachtung lag in seiner Stimme. »Sie wird mit der Vorhangkordel erdrosselt.«
    Nore Brand zeigte sich beeindruckt.
    »Ich habe ihr beigebracht, wie sie die Augen verdrehen muss, damit es ganz echt aussieht. Sie hatte keine Ahnung, aber jetzt sollte es klappen. Im Ganzen werden drei gekillt.« Er legte den Löffel sorgfältig neben die Suppentasse auf die Serviette.
    »Drei?«
    »Ja, drei. Nur ein Mord lohnt sich nicht. Dafür würde ich nicht ins Theater gehen.«
    Nore Brand dachte an Elsi Klopfenstein. Drei Tote mussten es also sein. Damit sich die Sache lohnte. Für diesen Jungen jedenfalls.
    »Schade, dass du arbeiten musst«, bedauerte sie dann.
    »Kein Problem«, erklärte er munter, »heute Abend gehen meine Eltern und morgen gehe ich mit meiner Großmutter. Die freut sich. Die wird staunen, wie Mädi toben und die Augen verdrehen kann, so kreuzbrav, wie die sonst ist.«
    Er wünschte ihr guten Appetit, wenn sie mehr Brot wolle, würde er gerne mehr bringen, dann war der muntere Kerl verschwunden.
    Die Suppe war ausgezeichnet und eine Viertelstunde später war Nore Brand auf dem Weg nach Basel. Der Basler Anwalt von Frau Ehrsam würde sie einen Schritt weiterbringen in dieser vertrackten Angelegenheit.
    Sie schaltete das Radio ein, um dem einschläfernden Brummen des Motors etwas entgegenzusetzen. Ein Buddhist, ein katholischer Priester und eine evangelische Pfarrerin diskutierten über Wege der Erlösung.
    Nein, das musste nicht sein.
    Sie suchte weiter, auch die Aufregung eines Eishockeyreporters entsprach nicht ihrer Stimmung. Auf einem anderen Sender sang Jacques Brel. Ne me quitte pas. Das passte. Ihre Gedanken gingen zu Jacques. Aber ihr erster Kuss hatte dem edlen Indianer gegolten. Dem Helden vom Schatz im Silbersee. Nicht ihrem ersten Verehrer. Das musste sie zugeben. Er würde sich sehr freuen, sie wiederzusehen, hatte Jacques gesagt. Wenn sie sich nur daran erinnern könnte, was sie darauf erwidert hatte. Es war dunkel im Wagen und Jacques Brel sang dieses herzzerreißende Lied. Über diese Dinge konnte man besser singen als sprechen.
     
     

DER VERGESSLICHE ANWALT
    Um zehn Uhr am nächsten Morgen, nach einer Nacht in einem unspektakulären Hotel mit karger Möblierung und guter Bettwäsche, saß Nore Brand im Wartezimmer von Anwalt Merian. Sie hatte Möbel aus Mahagoni, Stiche in goldenen Rahmen, frische Blumen in einer kostbaren chinesischen Vase erwartet.
    Doch weit gefehlt.
    Der Raum war eng und staubig, der alte Sessel gehörte derselben Möbelgeneration an, die sie bei Fräulein von Wyberg gesehen, gerochen und gespürt hatte. Der Stoffüberzug war völlig durchgewetzt. Die Wände waren kahl, nur eine Zeichnung von Erasmus hing schief in einer Ecke. Und immer und überall von vergilbten Vorhängen gefiltertes Licht. Die Magazine auf dem Tisch waren uralt. Eine Schlagzeile berichtete vom Tod des vorletzten Papstes.
    In diesem Staub musste die neue Zeit jämmerlich erstickt sein. Erasmus lächelte von der Wand herab, ihn schien das nicht zu beschäftigen, auch die Tatsache nicht, dass er sehr schief hing.
    Vielleicht beabsichtigte man, sie hier warten zu lassen, bis sie sich entnervt zurückzog. Eine

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