Matrjoschka-Jagd
Decke.
Merian war nicht zu erreichen gewesen. Der Grund seiner Unerreichbarkeit war zweifellos dieser Cerberus namens Elvira. Sie hatte auf den großen Trumpf im Spiel gegen Stania Matiowa gehofft. Nun musste sie warten.
Stania Matiowa saß mitten im Raum auf einem weißen Ledersofa. Sie hielt ihre Augen aufmerksam auf Nore Brand gerichtet. Sie schien sich bestens erholt zu haben. Falls das notwendig gewesen war.
»Er war ein besonderer Mann. Wir sind uns hier im Hotel begegnet. Vor fünf Wochen vielleicht. Weil auch er Künstler war, hatten wir sozusagen eine gemeinsame Basis.« Sie lächelte versonnen vor sich hin. »Er war eben aus Südamerika zurück.« Sie dachte einen Moment nach.
»Ich glaube, er hat das Leben geliebt in Südamerika. Er war mit einem Schulfreund ausgewandert. Wann genau, kann ich Ihnen nicht sagen. In Buenos Aires haben sie eine Kunsthandlung eröffnet. Und weil er nicht andauernd nach seinem berühmten Bruder gefragt werden wollte, legte er sich dort einen neuen Namen zu. Er muss sehr gelitten haben. Er sorgte dafür, dass man ihn in der Heimat für verschollen erklärte. Abenteuerlich, nicht wahr?«
»Wie nannte er sich?«
»Pedro Pechstein. Witzig, nicht? Die beiden Freunde gaben sich als Brüder aus. Das war auch kein Problem, denn sie glichen sich tatsächlich, Jeremias fand das offenbar sehr lustig. Doch als sein großer Bruder starb, muss er sehr gelitten haben. Dabei hätte er sofort an dessen Stelle treten können. Die Welt ist doch so, sie will solche Geschichten, nicht wahr? Aber Jeremias arbeitete hart an sich. Er hatte sich ein künstlerisches Ziel gesetzt, und sobald er dieses erreicht hatte, verließ er Südamerika. Er suchte Kunsthändler auf und begann sich auch um den Nachlass seines Bruders zu kümmern.«
»Und was tat sein Schulfreund?«
Stania Matiowa ließ ihren Blick über die Möbel gleiten. »Er sprach nicht viel von ihm. Vermutlich haben sie sich auseinandergelebt. Soviel ich weiß, ist der in Buenos Aires geblieben.«
»Wissen Sie den Namen?«
»Nein.« Sie dachte nach. »Oder doch, ich glaube Alfonso oder so etwas Ähnliches.«
»Können Sie sich vorstellen, warum Jelena Petrovic ihm im Weg stand?«
Stania Matiowa schaute Nore Brand erstaunt an. »Nein, was meinen Sie denn damit?«
»Er könnte Ihr Auto gebraucht und sie in einen Unfall verwickelt haben, den sie nicht überleben durfte.«
Stania Matiowa öffnete leicht den Mund. »Jeremias ein Mörder? Das kann ich mir nicht vorstellen. Aus welchem Grund denn?«
»Vielleicht hat Frau Petrovic etwas gewusst, das ihm oder sonst jemandem gefährlich werden konnte.«
Die Ballerina zuckte mit den Schultern. »Zu dieser Garage haben viele Menschen Zutritt. Mein Autoschlüssel liegt auf dem Tisch, hier. Immer. In den letzten Tagen hätte ich nicht einmal gemerkt, ob jemand ihn entwendet hätte.«
»Waren Sie ein Liebespaar?«
Die Tänzerin schaute Nore Brand belustigt an. »Muss ich diese Frage beantworten?«
»Was glauben Sie, wozu ich Fragen stelle?«
»Vielleicht gab es zu Beginn so eine Art Faszination. Die beruhte auf Gegenseitigkeit. Da bin ich mir sicher.« Die Tänzerin schaute zur Decke.
»Aber dann kam der Direktor ins Spiel?«
Die Tänzerin lächelte geheimnisvoll. »Jeremias und ich waren sehr gute Freunde, das können Sie mir glauben, aber wir waren nicht füreinander bestimmt.« Die Rehaugen wurden noch feuchter. »Es tut mir so leid für Jeremias. Er war so gut zu mir.«
Nore Brand entschied sich zu gehen. Weil Merian sein Nickerchen machte, hatte sie nichts in der Hand.
Doch nun hatte sie immerhin einen kleinen Auftrag für Bastian Bärfuss. Der war ihr mittlerweile einiges schuldig.
HANDSCHELLEN NACH DEM LETZTEN AUFTRITT
Nino Zoppa hielt sich in der Gaststube vom Steinbock auf und wartete.
Der Wirt brachte ihm ein Bier. »Vom Haus spendiert.«
»Das kann ich brauchen«, sagte Nino.
Der Wirt setzte sich hin und schaute Nino Zoppa forschend an.
Gratis war dieses Bier also nicht. Der Wirt war neugierig. Bier gegen Informationen.
»Und? Macht ihr Fortschritte?«
Nino Zoppa setzte die Flasche an und trank sie zur Hälfte aus.
»Ah, gut«, sagte er, »wirklich gut.«
Der Wirt nickte zufrieden. »Felsenau. Bärner Junker Bier. Ich weiß genau, was ich meinen Gästen geben muss.« Er kratzte sich am Hinterkopf. »Zumindest, was das Bier betrifft.«
»Eigentlich dürfte ich nicht trinken. Ich bin im Dienst. Und das hier«, er deutete auf die Flasche, »nennt man Beamtenbestechung.
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