Matterhorn
Seine Augen weiteten sich: »Sch-Scheiße, ich kann nicht anhalten!«, schrie er.
Die Granate explodierte. Mellas und Jackson wandten das Gesicht dem Boden zu. Als sie sich wieder umdrehten, war Jacobs’ Hals von Splittern halb aufgerissen. Sie rannten den Hügel hinunter, packten ihn an Hemd und Koppel und zerrten ihn seitwärts zu einer winzigen Bodensenke, von der sie hofften, dass sie ihnen Schutz bieten würde. Blut spritzte aus Jacobs Kehle. Er versuchte, es mit den Händen zu stillen. Mellas stieß sie beiseite und drückte selbst die Hand in das lange, schmale Loch, spürte das warme Pochen des Blutes, die winzigen Luftbläschen, die Jacobs’ Lunge entwichen. Jacobs konnte keinen Laut von sich geben. Nur seine Augen konnten das Grauen dieses letzten Moments ausdrücken.
Mellas schrie auf und presste die schmutzige Faust fest gegen die durchtrennte Halsschlagader, um das Blut zu stillen. Dann wich das Licht aus Jacobs’ Augen, und das Grauen schwand. Mellas wälzte sich von ihm weg. Verwirrt und voller Qual sah er Jackson an. Blut tropfte von seiner Hand. »Jake? Jake?«, sagte er fragend, anklagend, trauernd.
Eine weitere Chi-Comm kullerte den Hügel herunter. Sie warfen sich auf den Boden, und die Granate explodierte. Sie lebten noch, aus keinem besonderen Grund. Jackson stieg brüllend den Berg hinauf; das schwere Funkgerät auf dem Rücken schien er vergessen zu haben. Er hatte eine Granate in der rechten und ein Gewehr in der linken Hand. Mit plötzlicher Klarheit sah Mellas die Lösung. Einer von ihnen durfte sich nicht ducken. Er rannte auf Jacksons linke Seite. Mit einem gestöhnten Fluch schleuderte Jackson die Granate, dann warf er sich zu Boden und wartete darauf, dass sie explodierte. Mellas warf sich nicht zu Boden. Er rannte weiter. Die Granate explodierte. Mellas fühlte sich dagegen gefeit. Während der Rauch sich verzog, warf sich Mellas direkt vor der Erdaufschüttung zu Boden. Ein junger Nordvietnamese steckte den Kopf aus dem Loch. Bei ihm war noch einer, der jedoch gegen die Rückwand des Lochs gesackt war und sich nicht rührte. Der junge NVA -Soldat zog eine weitere Granate. Er holte weit aus, um sie zu werfen. Dann sah er Mellas blutbeschmiertes, geschwärztes Gesicht und das direkt auf ihn gerichtete Gewehr.
Mellas sah zu, wie der Gesichtsausdruck des Jungen von Entschlossenheit über Entsetzen zu Resignation wechselte. Trotzdem betätigte er nicht den Abzug. »Wirf das Scheißding einfach nicht«, flüsterte er und wusste doch, dass der andere ihn weder hören noch verstehen konnte. »Wirf das Scheißding einfach nicht, dann schieß ich auch nicht. Gib einfach auf.« Doch dann sah er, wie Hass das Gesicht des jungen Mannes verzerrte. Dieser Hass hatte dafür gesorgt, dass er in seinem Loch ausgeharrt und ohne jede Hoffnung auf Überleben weitergekämpft hatte. Und auch jetzt noch, dachte Mellas, musste der Junge vermuten, dass Mellas nicht schießen würde, wenn er die Granate nicht warf. Aber er warf sie trotzdem und bleckte dabei die Zähne.
Dann leck mich doch, dachte Mellas bitter, während die Granate auf ihn zusegelte. Er betätigte den Abzug, und das M 16 reagierte mit einem Feuerstoß. Die Kugeln durchschlugen Brust und Gesicht des Jungen und zerrissen ihm Lunge und Gehirn. Mellas legte den Kopf auf sein Gewehr und stöhnte: »Ich hab dir doch gesagt, du sollst sie nicht werfen, du blödes Arschloch.« Die Granate explodierte und verteilte Splitter entlang seiner linken Körperseite. Da er immer noch zwei Schutzwesten trug, wurden nur seine Gesäßbacken und seine Beine von dem gezackten Metall getroffen.
So, noch immer auf seinem Gewehr liegend, fand ihn ein paar Sekunden später Jackson.
»Alles in Ordnung, Lieutenant?«
Mellas nickte. Unter Schmerzen stemmte er sich mithilfe seines Gewehrs in eine halb kauernde Haltung hoch. Marines sammelten sich unterhalb des Randes der Landezone. Alles, womit sie sich jetzt noch befassen mussten, waren ein paar vereinzelte Schützenlöcher ganz oben, in denen kleine Gruppen von Nordvietnamesen Deckung gesucht hatten.
»Sie hauen ab!«, hörte er jemanden rufen. »Sie hauen ab, Scheiße noch mal!«
Endlich.
Sein Auge fühlte sich an, als würde ein Nagel hineingetrieben. Seine Beine brannten. Er humpelte zu den beiden nordvietnamesischen Soldaten, die Granaten auf sie geworfen hatten. Sie sahen aus, als wären sie ungefähr fünfzehn, sechzehn Jahre alt. Er stupste einen mit seinem Gewehr an und sah eine Bewegung, ein
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