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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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das keiner mag, weil es potthässlich ist, und dann wird es groß und ist nicht mehr hässlich, weil es kein Entlein mehr ist. Es ist ein Schwan. Hoppla. Und natürlich sind die Schwäne alle weiß und die Enten alle dunkel, aber darauf will ich mit dieser Predigt nicht raus.«
    Williams lächelte. Cortell wurde ständig damit aufgezogen, dass er predigte, wenn er sich aufregte. Er ertrug die Hänseleien nicht ohne einen gewissen Stolz.
    »Ich sag dir mal, was ich glaube, von was die Geschichte handelt. Da ist das kleine Entlein, das nicht groß werden kann. Nicht zu einer großen Ente werden kann, weil es gar keine Ente ist. Aber es weiß gar nicht, zu was es heranwachsen soll.« Cortell sah genau hin, um sicherzugehen, dass Williams ihm folgte. »Ich meine, wenn du nicht weißt, zu was du heranwachsen sollst, dann ist das Heranwachsen ziemlich schwierig.« Er hielt einen Moment inne. »Wir kumpeln also nicht zusammen, wir hängen einfach mit Leuten rum, um nach Möglichkeit dahinterzukommen, wo dieses Was ist. Kannst du mir folgen? Bei den Weißen finden wir dieses Was nicht, weil wir Schwarze sind, und mit euch Chucks rumzuhängen, um’s zu finden, wär bloß eine Sackgasse für uns. Wenn ich mit euch Chucks rumhänge, bin ich zuallererst ein Schwarzer, und wer ich wirklich bin, kommt erst danach. Wenn ich mit den Splibs rumhänge, bin ich zuallererst ich, und ’n Schwarzen gibt’s überhaupt nicht. Mit Weißen hat das nichts zu tun. Es ist einfach, wie’s ist. Nichts von wegen Voodoo-Verschwörung. Wir hängen einfach rum und sehen zu, dass wir so gut wie möglich klarkommen.«
    Williams hatte den Atem angehalten und ließ ihn nun entweichen. »Kapiere. Wenn das so ist.«
    »So ist das«, gab Cortell zurück.
    »Ich glaube, es macht den Leuten Angst«, sagte Williams.
    »Macht’s dir Angst?«
    »Ja. Nein.« Er betätigte den Verschluss seines Gewehrs. »Ich weiß nicht.«
    »Wir kriegen auch Angst«, sagte Cortell. Sein Blick ging hinaus auf den Dschungel und zurück nach Four Corners, Mississippi. »Wenn ich mit einem Weißen rede, hab ich, glaub ich, immer ein bisschen Angst.« Er kehrte aufs Matterhorn zurück und sah Williams an. »Außer bei dir, Brother.«
    Williams setzte den Verschluss ein und stand auf. »Ach …« Er schüttelte den Kopf zur Seite hin. Dann lächelte er und senkte den Blick.
    Cortell lachte. »Setz dich wieder hin, Mann. Du hast Teil zwei der Predigt noch nicht gehört.«
    Williams setzte sich. »Leg los, Reverend.«
    »Wir sind keine Neger mehr.«
    »Als ich in der Highschool war, wart ihr’s noch, und das war erst letztes Frühjahr.«
    »Wir sind keine Neger mehr. Wir sind Schwarze.«
    Williams unterdrückte sein Lächeln nur halb, und er wusste, dass Cortell seine Belustigung nicht verborgen blieb. »Und wenn wir letztes Frühjahr Weiße waren, sollen wir dann jetzt Blancos oder Bleichgesichter oder so heißen?«
    »Red keinen Quatsch.«
    »Nein, im Ernst. Ich meine, wie habt ihr denn früher geheißen?«
    »Nigger«, sagte Cortell und öffnete weit die Augen.
    »Doch nicht das. Scheiße. Ich weiß, dass das eine Beleidigung ist. Ich meine, wie ihr selbst euch genannt habt.«
    »Und hör mir auf mit ›ihr‹. Du redest hier mit einem.«
    »Also gut. Wie haben die Schwarzen sich früher genannt?«
    Cortell überlegte einen Moment. »Tja, genau genommen oft Neger. Der Reverend King hat uns so genannt. Aber der ist tot. Und heute liegt das zu nah bei Nigger oder Nigra.« Sein Verstand spulte im Zeitraffer Bilder von der Südstaaten-Aristokratie ab und stellte sich dann die Frage nach einer möglichen gemeinsamen Wurzel von genteel und gentile, vornehm und nichtjüdisch, ein Gedanke, den er rasch verwarf. Sein Verstand spielte ihm ständig solche Streiche. »Neger, das hat nicht dieses gewisse Etwas, hat keinen Stolz.« Er hielt den Verschluss seines M 16 hoch, bemüht, das letzte Licht auszunutzen, um zu erkennen, ob ihm etwas entgangen war. »Manchmal haben wir uns auch ›People of Color‹ genannt.«
    »People of Color. Das habe ich noch nie gehört.«
    »Bist ja auch aus Idaho.«
    Williams zeigte Cortell den Stinkefinger und rieb dann mit einem geölten Lappen den Lauf ab.
    »Jedenfalls«, fuhr Cortell fort, »sind wir jetzt Schwarze. Irgendeine Farbe hat jeder. Sogar weiß ist ’ne Farbe.« Jetzt war er an der Reihe, Williams merken zu lassen, dass er ein Lächeln unterdrückte. »Allerdings ’ne ziemlich langweilige, fade, insignifikante Farbe.«
    »Wow, Cortell.

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