Matterhorn
Wolkendecke brach, befand es sich weit im Nordosten, über dem Tal, in dem sie abgesetzt werden sollten. Es war eine große Propellermaschine.
»Sieht aus wie ein Transporter«, sagte Mellas zu Hamilton. »Was macht der hier?«
»Null Ahnung, Sir.« Hamilton machte sich nicht einmal die Mühe hinzusehen. Er war damit beschäftigt, sich Funkfrequenzen und Codes einzuprägen.
Das Flugzeug drehte eine träge Schleife und gewann über dem Kamm, der sich vom Matterhorn zum Helicopter Hill und weiter nach Osten erstreckte, an Höhe. Als es erneut wendete, flog es genau parallel zum Kamm und hielt direkt auf sie zu. Es kam immer näher. Inzwischen beobachteten es nicht wenige. Von seinem Heck fiel ein feiner, dünner Schleier herab, eine dunklere, gräuliche Wolke, vor dem verhangenen Hintergrund kaum auszumachen. Das Dröhnen wurde lauter. Das Flugzeug behielt seinen Kurs bei. Immer mehr Marines standen auf.
»Was zum Geier …?«, sagte Mellas. Auch er stand auf.
Das Flugzeug dröhnte über sie hinweg, seine US -Air-Force-Markierungen deutlich erkennbar, das Röhren seiner vier Turboprops ohrenbetäubend. Binnen Sekunden waren sie in einen chemischen Nebel gehüllt. Leute husteten, keuchten, brüllten Obszönitäten. Mellas konnte Fitch sehen, dem Tränen übers Gesicht liefen und der über Relsniks Funkgerät brüllend Verbindung mit dem Bataillon aufnahm, wissen wollte, was da vor sich ging, und zu erreichen versuchte, dass es aufhörte. Das Flugzeug schrumpfte zu einem kleinen Punkt im Südwesten und gewann über der Grenze nach Laos an Höhe, bis es in den Wolken verschwand. Dass es sie überflogen hatte, war nur noch daran zu erkennen, dass der ganze Berg stank wie mit Insektenschutzmittel eingesprüht.
Hamilton hob ein imaginäres Glas. »Auf die Scheiß-Air-Force.«
Mellas, dessen Augen noch immer tränten, ging hinüber zu der Stelle, wo die Befehlsstandsgruppe der Kompanie saß. Fitch war immer noch am Funkgerät, wartete eindeutig auf eine Antwort vom Bataillon. »Ich habe Bainford, den Fliegerleitoffizier des Bataillons, dran«, sagte er, als Mellas auf Hörweite herangekommen war.
Etwa eine Minute später krächzte es im Handapparat, und Mellas hörte eine blecherne Stimme sagen: »Es ist ein Entlaubungsmittel. Wir haben es für morgen angefordert, aber es sieht so aus, als hätte irgendwer Mist gebaut. Tut mir leid. Es schadet Ihnen nicht. Es vernichtet bloß Pflanzen. Es heißt Agent Orange. Ist dazu da, dass die Bäume dem Feind keinen Schutz bieten. Die Air Force hat es viel verwendet, und für Menschen ist es unschädlich, keine Sorge.«
»Ich mach mir aber Sorgen«, sagte Mellas laut. Fitch ignorierte ihn.
»Roger. Bravo Six out.«
Er wandte sich an Mellas. »Sie haben doch gehört, was er gesagt hat – es ist zum Pflanzenvernichten. Flieger. Der Teufel soll sie holen.« Fitch knurrte weiter Flüche, während er sich die Augen wischte.
Hawke kam und reichte Fitch seine Konservendosen-Tasse, die von Kaffee dampfte.
Das Geräusch der von Süden kommenden Vögel durchbrach schließlich die nervöse Lethargie. Mellas legte rasch seine Ausrüstung an, überprüfte noch einmal Munition und Waffen, dann fiel ihm ein, dass Goodwin als Erster ging, und er setzte sich wieder hin.
Der erste Vogel schwebte rasch ein. Sein Dröhnen erfüllte die Luft, und seine Rotorblätter peitschten die Wasserpfützen im morastigen Lehm. Goodwin rannte mit seinem Heli-Team über das offene Gelände. Er zählte die Leute mit einem Schlag auf den Rücken, während er sie zugleich in den sich öffnenden Rachen am Heck des Hubschraubers scheuchte. Die Heckklappe schloss sich, und weg war er. Fast sofort schwebte ein zweiter Vogel ein, dann ein dritter. Mellas sah Sergeant Ridlow, die große 44 er an die Hüfte geschnallt, über die LZ rennen. Dann rannte auch er selbst über die LZ , neben ihm mühte sich Hamilton, sein Funkgerät unter seiner übrigen Ausrüstung vergraben. Mellas zählte sein Team in den Vogel. Er hob den Daumen in Richtung Crew Chief, und sie wurden verschluckt und glitten weg in den leeren Raum, der Hubschrauber stürzte sich von der Bergkuppe, um Fluggeschwindigkeit aufzunehmen. Mellas hatte seinen Kompass gezückt, überprüfte ständig die Richtungen, damit er sich bei ihrer Landung sofort orientieren konnte.
Die sich rechts von ihnen abzeichnende Kammlinie auf dem Berg ständig gegenwärtig, ein Ziel, das zu erreichen einen vollen Tag Plackerei erfordert hatte, glitt in Sekunden vorbei.
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