Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt
Dinge, die es nicht gab? Diese Erklärung durften sie nicht ausschließen. Doch wäre es mehr als ein Zufall gewesen, dass Konny gerade bei dieser Aktion umkam. Er war lange auf dem Grundstück, und das konnte nicht an ihm liegen, er sollte doch nur den Namen herauskriegen. Und während er auf dem Grundstück war, kam der Golf mit den Typen. Und die hatten mit laufendem Motor gewartet. Und als Konny auf die Straße trat, waren sie losgefahren. Konnte Rosi sich das alles wirklich eingebildet haben, Panik hin, Panik her? Und mussten die Bullen nicht allen Spuren folgen?
Manni hieß der Kollege, jetzt erinnerte er sich. Der schwadronierte munter weiter. Aber Matti hörte nur noch ein Rauschen, das sich vermengte mit den Geräuschen des Flughafens. Ein Jumbo hing fett in der Luft, seine Fenster glänzten in der Sonne.
Er trat die Zigarette aus und setzte sich in den Wagen, um ein paar Meter nach vorn zu fahren. Glücklicherweise musste auch Manni zu seinem Taxi, das weiter hinten stand. Matti schaltete den Motor aus und nahm das gelbe Bändchen, schlug es auf, und seine Augen lasen: »Einen Fehler machen und ihn nicht korrigieren – das heißt erst wirklich einen Fehler machen.«
Nach mehr als einer halben Stunde Wartezeit sah er sie im Spiegel. Matti erkannte es sofort, wenn ein Fahrgast sich näherte. Die meisten starrten auf das Taxi, das sie nehmen wollten, wie ein Geier auf einen toten Hasen. Andere taten cool, aber in den Blicken war doch Unruhe zu lesen, spätestens, wenn sie näher gekommen waren. Matti kannte sie alle, einschließlich sämtlicher Blickzwischenstufen.
Er war von der coolen Sorte. Ein Mann um die fünfzig, gekleidet in eine Jeans, die wahrscheinlich mehr kostete als zehn von der Sorte, die Matti trug, ein schwarzes Hemd und eine Wildlederjacke, die unendlich weich und unendlich teuer war, Ziegenleder oder so was. Er schob den Gepäckwagen. Sie, groß und gertenschlank mit schwarzem Kurzhaarschnitt, war höchstens fünfunddreißig. Sie trug einen engen und kurzen dunkelblauen Rock, eine Schlichtheit vortäuschende Bluse mit dezentem Ausschnitt und ein Handtäschchen, das vermutlich von einer dieser italienischen Nobelmarken stammte und das mit Sicherheit er gekauft hatte. Chef plus Sekretärin einschließlich Verhältnis, diese Gespanne gehörten zum Standard. Matti stieg aus, als der Gepäckwagen neben seinem Kofferraum stand. Er verstaute zwei Aluminiumkoffer und eine lederne Laptoptasche, während seine Fahrgäste sich auf die Rückbank setzten, wo er sofort seine Hand auf ihr Knie legte. Als Matti hinterm Steuer war, sagte der Mann kalt und knapp: »Adlon.«
Klar, was sonst?
»Aber ich würde gerne noch eine Tour durch Kreuzberg machen«, sagte sie, und das klang so wie der Wunsch eines reichen Afrikatouristen nach einer Kanufahrt auf einem mit Krokodilen verseuchten Fluss. »Bergmannkiez, davon hat Ulrike gesprochen, du erinnerst dich?«
Er erinnerte sich, und Matti dachte nur, dass es ein schöner Umweg war, der ihm ein paar Euro mehr einbringen würde. Dafür ertrug er auch diese Fahrgäste.
Während er auf die 100er Stadtautobahn fuhr, begann der Typ zu fummeln, was Matti mehr hörte als sah. Sie kicherte. Dann: »Später«, und er lehnte sich zurück, aber seine Hand arbeitete weiter und war nicht mehr auf dem Knie.
Der Verkehr war dicht, aber er rollte. Am Himmel zogen von Osten dunkle Wolken auf, im Wetterbericht war von Böen die Rede, von Regen, sogar Wolkenbrüchen. Die ersten Tropfen fielen auf die Windschutzscheibe, doch dann hörte es gleich wieder auf, und es kamen immer neue dunkle Wolken, aber der Wind trieb sie nach Westen. Das Licht wurde hellgrau und blendete, obwohl die Sonne nicht mehr schien. Matti setzte die Sonnenbrille auf. Die Frau hinter ihm hüstelte, zog ein Taschentuch aus der Tasche und schnäuzte sich, steckte das Taschentuch weg und förderte ein Puderdöschen zutage, um sich an Reparaturarbeiten in der Nasengegend zu machen. Wahrscheinlich wollte sie ihn so ablenken, weil sie sich einen Rest von Scham erhalten hatte. Diese Leute, die auf der Rückbank knutschten und fummelten, würden das in einem Restaurant, einem Flugzeug oder der U-Bahn nie tun, und Matti empfand es als Beleidigung, dass sie es in seinem Taxi taten. Als wäre er nicht da. Oder als wäre er ein gelehriges Tier, das zwar steuern konnte, aber keine Empfindungen hatte.
In Tempelhof verließ er die Autobahn und folgte dem Tempelhofer Damm, bis er rechts in die Bergmannstraße abbog.
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