Matto regiert
der damit beschäftigt war, Suppenteller auf ein großes Tablett zu schichten, wandte sich um. Sein Gesicht war eine einzige Narbe. Die Nase war eingedrückt, statt der Nasenlöcher sah man die Enden eines silbernen Röhrchens. Und der Mund sah aus, wie eine schlecht vernarbte Wunde.
»Schül«, sagte der Pfleger Gilgen und litzte die Ärmel seines blauen Hemdes noch weiter zurück, »ich bring' dir da Besuch. Der Dr. Laduner läßt dich grüßen und du sollst dem Wachtmeister ein wenig Gesellschaft leisten.«
Der Mann mit dem Narbengesicht wischte sich die Hände an seiner blauen Schürze ab. Dann reichte er Studer die Hand – auch seine Hand war mit Narben bedeckt. Und seine Augen traten vor, blutunterlaufen.
Er sprach ein geziertes Schriftdeutsch, das eigentlich wenig Dialektfärbung hatte und mehr ans Französische anklang, das war nicht weiter verwunderlich, da Schül, wie er erzählte, zwölf Jahre in der Fremdenlegion gedient und mit dem Régiment de marche unter Oberst Rollet im Weltkrieg mitgefochten hatte.
Er erzählte – und kleine Speichelbläschen bildeten sich in seinen Mundwinkeln – , daß er großer Kriegsverwundeter sei (›un grand blessé de guerre!‹). Eine Handgranate – Dr. Laduner habe das wohl erzählt? – Ja, also eine Handgranate sei vor ihm geplatzt und habe ihm nicht nur das Gesicht, nein, auch die Hände und den Körper aufgerissen. Er zog ein Hosenbein hoch, um sein Schienbein zu zeigen, und Studer konnte ihn gerade noch zurückhalten, als er sein Hemd über den Kopf ziehen wollte, um seinen Oberkörper zu entblößen.
»So macht man es den Helden!« klagte Schül. »Gut und Blut gibt man für die Freiheit eines Landes, ich trage die Ehrenlegion und die Médaille militaire, und volle Pension beziehe ich auch. – Und wer steckt meine Pension ein?« Schül beugte sich zu Studers Ohr, und der Wachtmeister mußte sich zusammennehmen, um nicht mit dem Kopf zurückzuzucken. »Wer steckt die Pension ein? Der Direktor! Aber dieser verfluchte Suppenhändler wird seinen Lohn bekommen, Matto wird es ihm eintränken, nicht ungestraft ist es erlaubt, den Schützling eines hohen Geistes zu quälen…«
Er packte Studer plötzlich am Ärmel und zog ihn zum Fenster, das nach dem Mittelbau blickte.
»Sehen Sie dort oben?« flüsterte Schül. »Das Dachzimmerfenster? Gerade über der Wohnung des Doktor Laduner? Sehen Sie, wie er herausschnellt und zurück, heraus und zurück… Das ist er, Matto. Er hat mir ein Lied in die Feder diktiert, ich will es Ihnen zeigen, ich werde Ihnen eine Abschrift verfertigen, damit Sie ein Andenken haben an ihn, an Matto!«
Ungemütlich, durchaus ungemütlich! Denn das Dachfenster, auf das Schül gezeigt hatte, es lag gerade über dem Gastzimmer, das Frau Laduner dem Wachtmeister angewiesen hatte… es gehörte wahrhaftig nicht viel Orientierungsgabe dazu, dies festzustellen.
Während Schül das Gedicht suchte in einem Schaft, der mit Papieren überfüllt war, plapperte er weiter.
Letzte Nacht habe Matto geschrieen, wieder geschrieen und gerufen, lang und klagend. Diesmal in der Ecke, zwischen dem K und dem R. Und er hörte einen Augenblick mit seinem Suchen auf, um dem Wachtmeister die Stelle zu zeigen.
Von dem Fenster, das gegen den Mittelbau ging, konnte man sich gut orientieren. Der Mittelbau zuerst, mit den Wohnungen der Ärzte – am Nachmittag sollte Studer feststellen, daß des alten Direktors Wohnung direkt unter der Wohnung Laduners lag –, dann das R, die ruhige Abteilung, und senkrecht dazu, aber im gleichen Häusertrakt wie das B, in dem man sich befand, das K, die Abteilung der körperlich Kranken. Und in jener Ecke dort, wo eine Tür ins Sous-sol ging – in jener Ecke hatte jemand geschrieen. Während Schül wieder in seinen Papieren kramte, fragte Studer den rothaarigen Pfleger Gilgen, ob man die Erzählung glauben könne… Gilgen zuckte ein wenig unbehaglich mit den Achseln.
– Schül beobachte sonst ganz gut, meinte er, und es sei nicht unmöglich, daß er etwas gehört habe, denn er schlafe in einem Zimmer, das gerade über dieser Küche liege, und da das Fenster außen Gitter habe, stehe es die Nacht durch offen.
»Schül«, fragte Studer, »um wieviel Uhr hat du den Schrei gehört?«
»Halb zwei«, sagte Schül trocken. Gleich nachher habe die Turmuhr geschlagen. Und hier sei das Gedicht…
Es war kein Gedicht im gebräuchlichen Sinne des Wortes, es war vielmehr in rhythmischer Prosa abgefaßt, und es lautete, geschrieben in
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