Matto regiert
der sorgfältigen Schrift des Patienten Schül:
»Manchmal, wenn der Föhn den Nebel spinnt zu weichen Fäden, sitzt er an meinem Bett und flüstert und erzählt. Lang sind die grünen gläsernen Nägel an seinen Fingern und sie schimmern, fährt er mit seinen Händen durch die Luft… Manchmal auch sitzt er oben auf dem Glockenturm, und dann wirft er Fäden aus, bunte Fäden, weit hinaus ins Land über die Dörfer und Städte und die Häuser, die einsam stehen am Hügelhang… Weit reicht seine Kraft und seine Herrlichkeit, und niemand entgeht ihm. Er winkt und wirft seine bunten Papiergirlanden, und der Krieg flattert auf wie ein blauer Adler, er schleudert einen roten Ball, und die Revolution lodert zum Himmel und platzt. Ich aber habe den Mord in der Taubenschlucht begangen, wenigstens sagen es die Polizisten, aber ich weiß nichts davon; mein Blut floß auf die Schlachtfelder der Argonnen, aber nun bin ich eingesperrt, und hätte ich meinen Freund nicht, Matto, den Großen, der die Welt regiert, ich wäre einsam und könnte verrecken. Er aber ist gütig, und mit seinen gläsernen Nägeln fährt er in die Hirne meiner Peiniger, und wenn sie stöhnen im Schlaf, so lacht er…«
»Was ist das, Schül, mit dem Mord in der Taubenschlucht?« fragte Studer, denn das war ein Satz, der in sein Wissensgebiet schlug. Das andere klang ganz schön, besonders der Gedanke, daß Matto den Krieg ausbrechen ließ, aber es schien ihm auch reichlich überspannt.
Es war Gilgen, der Wärter mit den nach hinten gelitzten Hemdsärmeln, der antwortete: Das sei so eine Idee vom guten Schül. Schül habe nie einer Fliege etwas zuleide getan. Und dann bat er den Wachtmeister, mitzukommen in den Aufenthaltsraum, es sei 11 Uhr, er müsse einen Kollegen ablösen, um halb zwölf sei Mittagessen, ob der Wachtmeister zusehen wolle bei einem Jaß oder gar mithelfen?
Studer schüttelte Schüls narbenbedeckte Hand, dankte für das schöne Gedicht, das ihm für den Nachmittag versprochen wurde, und folgte seinem Begleiter.
Als sie die Schwelle überschritten, rief ihm Schül noch mit heiserer Stimme nach:
»Ihr werdet Matto noch kennenlernen… Pieterlen hat er befreit. Und den Direktor geholt…«
– Wennschon! dachte Studer. Unangenehm war vielleicht nur, daß der Geist Matto nach Schüls Behauptung sein Hauptquartier gerade in jener Dachkammer aufgeschlagen hatte, die über dem Gastzimmer lag…
Der breite Gang war an seinem einen Ende durch eine Glastür abgeschlossen, und man trat durch sie in den Aufenthaltsraum, der in dunklem Orange gestrichen war: die Tische, die Stühle, die Bänke mit den hohen Lehnen, auf denen Gitterkasten saßen, geschmückt mit Topfpflanzen – grünem Spargel –, und dazwischen standen Vasen mit Dahlien. Trotzdem zwei Fenster offen standen – und auch sie blickten aufs U 1 –, war dicker Rauch im Zimmer. Und während Studer sich umblickte, dachte er über seinen Begleiter nach, den Pfleger Gilgen, der in dieser Anstalt der erste Mensch war, zu dem er eine restlose Zuneigung fühlte…
Er hätte den Grund nicht angeben können. Gilgen hatte eine große Glatze, die bis zur Mitte des Schädels reichte, nachher waren die roten Haare ganz kurz gestutzt und schimmerten wie Kupfer, das man soeben mit Sigolin poliert hat. Der Hals war braun. Und über dem ganzen Gesicht waren Laubflecken verstreut, es war freundlich, dieses Gesicht, trotz der Falten in den Augenwinkeln und auf der Stirn, von denen man annehmen mußte, daß sie durch Sorgen entstanden waren. Aber es ging eine angenehme Wärme von dem kleinen Manne aus, der dem Wachtmeister gerade bis zur Schulter reichte, und diese Wärme schienen auch die im Aufenthaltsraum versammelten Patienten zu spüren, denn sie begrüßten den Pfleger mit »Grüeß di!« und »Ah, der Gilgen!«. Übrigens war auch die Haut seiner nackten Unterarme mit Laubflecken übersät…
– Sie wollten einen Jaß machen, sagte Gilgen, das da sei ein Bekannter, der etwas zu verrichten habe in der Anstalt, und er werde gern ein Spiel mithelfen. Wer wolle kommen?
Es meldeten sich zwei. Ein langer, magerer Mann, dem man den Süffel von weitem ansah, und ein kleines Männchen mit einem unsymmetrischen Gesicht, das nachher äußerst pedantisch, langsam und ärgerlich spielte.
Von der Jaßpartie, die Studer mit Gilgen und Partner spielte, ist nur eines zu erwähnen: Gilgen schob einmal mit fünfzig vom Schaufelaß, dem Herznell und drei Kreuz. Studer mußte Herz Trumpf machen, er konnte
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