Mattuschkes Versuchung
brutaler. Einmal, als ich verzweifelt davonlief, fuhr er fort und ließ mich in Dunkelheit und eisiger Kälte halb nackt nach Hause gehen. Mit Unterkühlung kam ich ins Krankenhaus, wo man auf unzählige Flecken, Blutergüsse und Narben aufmerksam wurde und die Polizei verständigte. Erst jetzt offenbarte ich mich.« Sie ordnete flüchtig ihr Haar, als wollte sie der Erzählung die Dramatik nehmen. »Die körperlichen Wunden sind verheilt, die seelischen noch lange nicht. Für kurze Zeit ging ich wieder zu meinen Eltern und fand in der Zirkusfamilie Trost und Hilfe.«
Ihr zierlicher Körper zitterte plötzlich unter haltlosem Weinen.
Mattuschke hielt ihre Hand umklammert. Durch den Filter ohnmächtigen Zorns drang das Gesagte langsam in sein Bewusstsein. »Wie lange dauerte dein Martyrium?«, fragte er mit rauer Stimme.
»Über vier Jahre, sechs sind wir verheiratet, inzwischen habe ich die Scheidung eingereicht, das Strafverfahren läuft. Ich war längere Zeit in einer Klinik. Wahrscheinlich werde ich erst wieder gesund, wenn ich weiß, dass er hinter Schloss und Riegel sitzt. Ich habe furchtbare Angst, ihm irgendwo wieder zu begegnen.«
»Wo wohnst du jetzt?«
Sie nannte ihm die neue Adresse. Beide schwiegen lange. Ein Spatz flog auf den Tisch, schaute keck und bediente sich mit den übrig gebliebenen Krümeln. Sie bemerkten ihn nicht.
»Es tut mir leid Heinz, dich mit meinem Kummer belästigt zu haben, anstatt mich über das Wiedersehen zu freuen. Ich kann das Ganze heute nicht mehr verstehen, lange wollte ich meine Hörigkeit nicht wahrhaben, nicht an seiner Liebe zweifeln, die ich unter keinen Umständen verlieren wollte, dann schämte ich mich, es anderen gegenüber einzugestehen.«
»Du hast sicher keine Arbeit zur Zeit?«
»Nein, in der Firma konnte ich nicht mehr arbeiten und dann brauchte ich lange, bis ich soweit hergestellt war, jetzt suche ich. Aber wer braucht schon eine Trapezakrobatin? Als Assistentin in den Zirkus möchte ich nicht mehr.«
»Ich kümmere mich darum. Im nächsten Monat kannst du anfangen, versprochen, ich habe da eine Idee«, er blickte sie warmherzig an.
»Warum hast du dich nur nicht bei mir gemeldet?« Britta hob ihre Schultern wie in gleichgültiger Geste. »Wie gut, dass wir uns wenigstens jetzt getroffen haben.«
Tage später hielt sie den Brief einer Firma in der Nähe ihres Wohnortes in der Hand. Man freue sich auf die neue Mitarbeiterin und erwarte sie am …, ein dicker Vorschuss steckte im Umschlag. Glücklich drückte sie das Papier an ihre Brust. »Danke Heinz«, sagte sie halblaut, »ich spüre, dass es wieder aufwärts geht.«
Geschäfte führten ihn damals nach München. In der Lobby des Hotels fiel ihm die Anzeige eines Eskortservice auf, der repräsentative, gebildete Damen für Geschäftsessen, Opernbesuch und sonstige Zerstreuungen offerierte. Der Gedanke, am nächsten Abend ohne Begleitung an einem gesellschaftlichen Empfang seines neuen Geschäftspartners teilnehmen zu müssen, war ihm schon die ganze Zeit über unangenehm; vielleicht böte sich hier eine Lösung. Mattuschke fragte nach einer geeigneten Dame für den genannten Zweck und ob sie sowohl heute zum Kennenlernen als auch für den morgigen Termin zur Verfügung stehen würde. Man bot ihm eine Dame an, die in einer Stunde in der Bar des Hotels sein könne und betonte ausdrücklich, dass sie für erotische Wünsche keinesfalls zur Verfügung stehe. Der Preis war gesalzen, aber wenn sie seinen Vorstellungen entsprach, und er bei den Geschäftspartnern punkten könnte, wäre der Betrag gut investiert. Mit gemischten Gefühlen wartete er in der Bar. »Ich kann nur hoffen, dass sie nicht den Hauch ordinärer Ausstrahlung besitzt, dann ist der Deal beendet.«
Eine Stunde später betrat eine Dame die Bar, legte ihren Mantel ab und kam mit dem eleganten Gang einer Raubkatze auf ihn zu, geschmackvoll gekleidet. Die Frau hatte Stil und Niveau, das sah er auf den ersten Blick. Er ging ihr entgegen und begrüßte sie galant mit angedeutetem Handkuss.
So lernte er Vera Lanek kennen.
Vera wuchs in Bayreuth auf, behütet in der Familie. Von klein auf war es ihr Wunsch, Balletttänzerin zu werden, und so unterzog sie sich schon als Kind der harten Ausbildung. Sie war diszipliniert, erfolgreich und durfte zum Entzücken ihrer Mutter bereits in Aufführungen des Markgräflichen Opernhauses mitwirken, als sie unglücklich stürzte und sich den Fußknöchel brach. Damit wurde die steile Karriere für längere
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