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Mattuschkes Versuchung

Mattuschkes Versuchung

Titel: Mattuschkes Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ersfeld
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den Stradun, auch zu dieser Abendstunde genauso belebt wie am Nachmittag, zurück, zu dritt nebeneinander, sich gegenseitig an den Händen haltend. Es war ein eigenes Gefühl von gemeinsamer Freundschaft und Intimität. Vera war begeistert und schwärmte von der Pianistin, von der sie sich gleich nach dem Konzert ein Autogramm geben ließ. »War sie nicht großartig?« Heinz blinzelte Louise mit einem Auge zu, was wohl heißen sollte, ich weiß nicht so recht, ob sie die Virtuosität am Klavier oder die Tastenpoetin als Person meint.
    In der Nacht wurde Louise von einer Bewegung geweckt. Jemand kroch zu ihr ins Bett und schmiegte sich an sie. »Darf ich?«, hörte sie die kindliche Frage, ich hatte einen schlechten Traum und brauche ein wenig Wärme.« Sie musste lächeln, die souveräne und allen Situationen gerecht werdende Vera kuschelte sich an sie und war plötzlich ein kleines Mädchen, das vor dem Gewitter oder Geistern Schutz in der Geborgenheit Erwachsener sucht. Sie ist sensibler und verletzlicher, als sie sich nach außen gibt. »Ja, du kannst bleiben«, murmelte sie schläfrig, »es ist schön, dich bei mir zu haben.« Tatsächlich war ihr ein wenig kühl geworden und Vera wärmte ihr den Rücken angenehm. Ihr Haar roch nach einem fruchtigen Shampoo, aber sie war zu müde, um die Duftnote herauszufinden. Am nächsten Morgen erwachten beide gleichzeitig, schauten sich verlegen an und mussten lachen.
    »Du machst dich über meine Schwäche lustig«, gab sie sich schmollend.
    »Wir lachen doch beide, ich fand das natürliche Wärmekissen sehr angenehm in der Nacht.« Vera gab ihr einen Kuss. »Das behalten wir aber unbedingt für uns, Heinz braucht nicht alles zu wissen.«
    An diesem Tag mietete er einen Wagen, sie fuhren nach Mostar in Bosnien-Herzegowina an der smaragdgrünen Neretva, sahen sich die interessante Stadt mit vielen orientalischen Einflüssen und die eigenwillig gewölbte historische Brücke Stari Most' an, die den West- vom Ostteil der Stadt trennt. Todesspringer stürzten ihre muskulösen, braun gebrannten Körper gerade in die reißenden Fluten, für ein Trinkgeld der Touristen. »Sie war immer eine bedeutende historische Verbindung zwischen Orient und Okzident, zwischen Muslimen und Kroaten. Ich habe sie noch in ihrem ursprünglichen Zustand erlebt und war tief betroffen, dass man sie 1993 zerstört hat«, sagte Heinz ernst.
    »Wann ist sie denn wieder aufgebaut worden, sie wirkt relativ neu?«, Louise ließ ihren Blick kritisch an dem Mauerwerk entlang gleiten.
    »Ich glaube, dass sie 2004 offiziell eingeweiht wurde. Spender haben sich an der Errichtung des einmaligen Kulturdenkmals beteiligt. Es ist gut, dass es sie wieder gibt, aber es tut weh, ihre Wunden zu sehen.«
    »Wenn man bedenkt, dass sie in den Kriegsjahren, wie auch unzählige Gebäude im pittoresken Dubrovnik und unschuldige Menschen, von Landsleuten desselben ehemaligen Staates Jugoslawien zerstört und getötet wurden, kann man jeden Glauben an Zivilisation und Vernunft verlieren«, sagte Vera bitter, die noch etliche Zeugnisse kriegerischer Auseinandersetzung an Gebäuden und Fassaden entdeckte.
    »Begreifen kann man es nicht«, nickte Louise betroffen. Die schlimmen Ereignisse lebten an Ort und Stelle förmlich wieder auf. Vieles musste ebenso wie in Dubrovnik mühsam restauriert werden oder war unrettbar verloren.
    Nach einer Woche der Harmonie flogen sie zurück, Louise fiel der Abschied schwer, aber Vera musste zurück, sie war in Aufführungen besetzt, für die sie keinen Ersatz finden konnte.

Als Louise versuchte, Gila und den Freunden aus dem Silverspot ihre Reiseeindrücke zu beschreiben, wurde ihr bewusst, dass es nur andeutungsweise gelingen konnte, erlebte Atmosphäre und Gefühle zu beschreiben. Am ehesten schien Eric sie zu verstehen, er hatte Gabe und Feinfühligkeit, zwischen den Zeilen zu lesen. Sie gratulierte ihm zu seinem Erfolg. Hano war wieder aufmerksam, erzählte ihr von seinem Lauftreff und hatte eine Menge Fragen zu Dubrovnik. Ihre Vermutung verdichtete sich, dass er sie anbaggern wollte. Kurz danach lud sie ihre Mutter und Solana ein. Seit Vaters Tod hatten sich die beiden im gemeinsamen Leid getröstet und Frieden geschlossen.
    »Kind, du siehst so gut aus, das Wetter war sicher wunderbar. Es soll ja überhaupt nicht gesund sein, sich der Sonne auszusetzen, da ist Krebs vorprogrammiert. Aber wer von der heutigen Jugend hört schon auf die Vernunft, nicht wahr Solana? Konntest du dir das denn

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