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Mattuschkes Versuchung

Mattuschkes Versuchung

Titel: Mattuschkes Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ersfeld
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In Begleitung der beiden Freundinnen hatte sie es sich zugetraut. Louise schob die Hand unter ihren Arm und drückte sie an sich. Sie spürte, was in Vera vorging, ihre Selbstsicherheit, das überlegene Auftreten war nur ein Gebäude, errichtet auf dem brüchigen Untergrund ihrer Verletzlichkeit und Sensibilität, ihre Lebensrolle.
    »Vera«, sagte sie in spontaner Eingebung, »du bist viel zu gut für Amina.«
    Vera zog sie zu sich heran und blickte verwundert, ihre warmen, tiefgründigen Augen, von winzigen Lachfältchen umkreist, sahen traurig aus und sandten dann ihren Blick ins Weite, ein paar Tränen liefen die Wangen hinunter. Gila war schon vorausgegangen.
    »Du bist zu gut für mich Louise«, sagte sie ernst und beschleunigte ihren Schritt, um zu Gila aufzuschließen. Erst jetzt erfuhren sie den traurigen Anlass, der Vera damals veranlasste, alles hinter sich abzubrechen und einen Neubeginn zu wagen. Louise war sehr betroffen.
    »Ich weiß nicht, ob ich so viel Mut und Kraft aufgebracht hätte.«
    Während der Rückfahrt im ächzenden Waggon, erzählte Louise von Paul und der endlich zugelassenen Liebe, aus ihren Augen leuchtete Begeisterung.
    »Hörst du, wie sie schwärmt«, rief Gila Vera zu, die ihr gegenüber saß, »so habe ich sie bisher nie über einen Freund sprechen hören.«
    »Das ist toll, ich freue mich für dich«, sagte Vera und schenkte ihr einen gefühlvollen Blick, in dem etwas Angstvolles mitschwang. Im Überschwang ihrer Gefühle bemerkte Louise es nicht.
    »Er holt uns heute Abend am Bahnhof ab, ich habe eben die Ankunftszeit durchgegeben.«
    »Dann wollen wir uns doch die Zwischenzeit mit etwas Sinnvollem verkürzen«, sagte Gila triumphierend und hielt eine Flasche in der Hand, »trotz aller Verliebtheit muss man an den Proviant denken.«
    Der Sekt hatte seine aufputschende Wirkung bereits eingestellt und leichte Müdigkeit zog auf, begünstigt durch die eintönig ratternde Melodie der Fahrgeräusche, Schlafliedern gleich. Vera und Gila fielen der schlummernden Verführung zum Opfer. Louise war viel zu aufgeregt, sie dachte an Paul, freute sich, ihn wiederzusehen, kuschelte sich hinein in ihre innere Freude wie in eine wärmende Decke, schloss die Augen und versuchte, Pauls Bild aufzurufen. Es gelang auf Anhieb. »Paul«, hauchte sie, es war nicht nur die magnetische Kraft, die von seiner Nähe ausging, die Zärtlichkeit und starke Erregung, die er ihr schenkte, sondern der üppige Strauß vieler Dinge, die sie an ihm faszinierten. Dass sie sich so gut und ernsthaft unterhalten konnten, dass sie die gleichen Wellenlängen und Interessen besaßen, ihre Temperamente sich ausglichen, er ehrlich, charakterstark und treu war. Sie konnte zu ihm aufschauen, sie mochte seine Art des Umgangs, er war klug, belesen, hatte Humor und wusste, Kind zu sein, mit dem man albern und lachen konnte. Und sie respektierten sich, etwas, das im Verhältnis zu Rick fehlte und auch bei Karsten, wenn sie es recht bedachte, der die größte Achtung vor sich selbst hatte.

Paul war viel zu früh am Bahnhof, fand in unmittelbarer Nähe einen Parkplatz und konnte den Bahnsteig so noch schneller erreichen. Er war in aufgeregter Erwartung, es hatte keinen Sinn, es leugnen zu wollen, wie ein Pennäler vor der Klassenarbeit, ging ihm durch den Kopf. Wann hatte er solche Gefühle schon einmal erlebt? Langsam schritt er auf den Bahnsteig zu und blieb vor den Gleisen stehen. Hier könnte sie möglicherweise aussteigen oder doch erst ein paar Meter weiter? Starke Gefühle hatte er damals für Constanze empfunden, von der er seinen ersten Liebesbrief erhielt, in einem Schulheft versteckt. Sie hatte er als erste Frau geküsst, mit ihr spürte er zum ersten Mal die süße Qual der Sehnsucht, der Unruhe seines Herzens und der Erregung, die er damals noch für verwerflich hielt. Als ihr Vater versetzt wurde, von dem beschaulichen Rothenburg nach Stuttgart, und sie sich trennen mussten, glaubte er, an diesem Verlust zu sterben. Er träumte von der Zeit, die viele Jahre zurücklag, es waren starke Gefühle damals, aber noch kindliche, nicht vergleichbar mit der Monumentalität seiner reifen Empfindungen für Louise, die er bald in die Arme schließen durfte. Unwillkürlich hatte er die Augen geschlossen, um sich seiner Erinnerung hinzugeben. Es blieb noch Zeit bis zum Eintreffen, vorher lief ein anderer Zug ein, der gerade über Lautsprecher angekündigt wurde. Er hatte gar nicht bemerkt, wie sich der Bahnsteig inzwischen

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