Mattuschkes Versuchung
beruhigte ihn der letzte Satz etwas, allzu bald war jedenfalls kein Wohnungswechsel geplant. Das verschaffte ihm Zeit.
»Dieser Unfall am Bahngleis scheint wohl nach allem kein selbstverschuldeter zu sein?«, meine Mattuschke mit grimmiger Miene.
»Nein es sieht so aus, als habe jemand Paul absichtlich gestoßen.«
»Das ist unglaublich, ich habe schon zwei meiner Männer angesetzt, sich um die Sache zu kümmern, da kommt meist eher etwas heraus, als bei den polizeilichen Nachforschungen.«
»Vielen Dank Heinz, das ist mir eine große Beruhigung. – Ein Fotoalbum? Hast du gerade darin geblättert, darf ich es mir einmal ansehen?«, fragte sie und griff zum Sideboard, wo ein größeres Album aufgeschlagen lag, so als sei der Betrachter gerade beim Lesen gestört worden.
»Selbstverständlich, rücke näher zu mir, dann schauen wir gemeinsam hinein.«
Es waren Aufnahmen aus der Jugendzeit im Zirkus, vom Internat, aus den Jahren in, Chapiteaus’ Büro und der Anfangszeit im Kornfeld sehen Imperium. Fotos seiner Frau befanden sich nicht darin, aber die Aufnahme einer anderen, einer ausgesprochenen Schönheit, deren starke Ausstrahlung sogar auf dem Foto spürbar war. Sie stand in der Manege in einem attraktiven Kostüm, das ihre langen Beine preisgab, eine Peitsche lässig in der Hand, den Kopf mit langem blond fließendem Haar stolz erhoben, ein verzauberndes Lächeln im Gesicht. Sie wollte nicht anmaßend sein und sich mit dieser Schönheit messen, die ohnehin konkurrenzlos schien, aber in einer gewissen Weise gab es eine Ähnlichkeit zu ihr. Größe, Ausstrahlung, Alter, Haare, obwohl die eigenen geringfügig dunkler und kürzer waren.
»Wer ist diese ungewöhnlich schöne Frau Heinz?«
»Das ist Sina, sie führte eine sensationelle Pferdedressur vor, sie war damals mein Fixstern, findest du nicht, dass du ihr gleichst?«
In der Art, wie er es sagte, hatte sie das Gefühl, dass sie immer sein Fixstern war und sie in gewisser Weise eine Nachfolge angetreten hatte. Sie antwortete ausweichend: »Das ist schon möglich, aber ich selbst kann es nicht feststellen.«
Das Bild eines jungen Mädchens war ihr aufgefallen, in eng anliegendem Kostüm, wie es Trapezkünstler tragen, es verkörperte Frische und Fröhlichkeit.
»Irgendwie habe ich das Gefühl, sie zu kennen«, murmelte sie.
»Das tust du auch«, nickte er zustimmend, »es ist Britta, die Tochter der legendären Wackernagel Artisten, mit der ich meine Jugend verbracht habe, heute ist sie Wollhüsens Lebensgefährtin. Der hat mit ihr das große Los gezogen. In einer schwierigen Lebensphase habe ich sie ihm als Mitarbeiterin vermittelt, eine wunderbare Frau. Sie haben sich ineinander verliebt.« Ein Ausdruck von bedauerndem Schmerz lag plötzlich auf seinem Gesicht.
»Warum hat er sie nicht geheiratet?«
»Guido Erlenbach, ihr Mann, ist vor etlichen Jahren von einem Tag auf den anderen verschwunden, wahrscheinlich untergetaucht, weil ein Prozess und die Einlieferung in eine Entzugsklinik anstanden. Somit ist sie immer noch verheiratet.«
Er schloss das Album so behutsam, als könne es aus tiefem Schlaf erwachen und stellte es in den Schrank zurück. Britta war seine Jugendfreundin und Sina zweifellos die große, unerfüllte Liebe, der sie ähnelte. Gerne hätte sie noch weiter geblättert.
Nach einem langen Arbeitstag brummte Paul der Kopf, mit Zahlen und Statistik hatte er sich Stunden herumgeschlagen, deshalb war er froh, seine Laufschuhe anziehen und auf seiner Lieblingsstrecke Sauerstoff tanken zu können. Es war zwar schon spät, aber die Strecke einigermaßen beleuchtet, er hatte es schon einige Male zur selben Zeit versucht. Eigentlich war er um 18.00 Uhr mit Hano verabredet, aber die Fertigstellung seiner Auswertungen hatte Priorität, deshalb musste er absagen.
»Ich schaffe es nicht vor 21.00 Uhr Hano, zu viel Arbeit im Büro, ich laufe alleine, bis auf ein anderes Mal.«
Die frische Luft löste den Druck im Kopf, die Bewegung die Verspannungen im Körper, langsam fühlte er sich wieder wohl. Er lief gleichmäßig und ausdauernd, niemand begegnete ihm.
Etwa zur gleichen Zeit drang ein mit Mütze und Sehschlitzen maskierter Mann, dessen ausdrucksloses Gesicht Juliette Renard nicht sehen konnte, in das abgeschlossene Juweliergeschäft ein, einen alteingesessenen Familienbetrieb, der von der letzten Generation der Sippe, der feinen alten Dame, geführt wurde. Trotz später Stunde saß sie noch im Büro, weil sie ein Telefonat ihres Neffen
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