Mattuschkes Versuchung
Folgetagen gab es keine Veränderung. Louise war voller Unruhe, sprach mit Gila, die sie tröstete: »Es wird sich alles aufklären Louise, lass dich nicht verrückt machen, spar deine Kräfte auf.«
Vera meldete sich, sie klang niedergeschlagen: »Es ist unglaublich, was mit deinem Paul geschieht. Ich muss dringend mit dir sprechen. War er eigentlich schon bei dir zu Hause?«
»Ja, er hat ein Mal bei mir übernachtet, warum fragst du?«
»Louise, ich kann dir das nicht am Telefon sagen, wir müssen reden, ich habe viel zu lange geschwiegen. Frag jetzt bitte nichts und wiederhole nicht den Treffpunkt, den ich dir nenne, du wirst es verstehen, wenn ich dir alles erklärt habe. Übermorgen, Donnerstag 18.00 Uhr nach der Probe im Café Schober. Nicht vergessen, es ist wichtig und kein Wort zu Heinz!« Louise war verunsichert, was hatte das geheimnisvolle Telefonat zu bedeuten? Wieso kein Wort zu Mattuschke, offenbar war es etwas, was ihn betraf. Sollte sie etwas von Paul wissen? Vera klang ängstlich, bedrückt, geheimnisvoll. Ihre Stimme, fast flüsternd, war nicht die, die sie kannte. Sie zermarterte sich den Kopf, fand aber keine Erklärung für die mysteriösen Andeutungen.
»Er weiß alles von Louise, manipuliert und überwacht sie, vielleicht steckt er auch hinter den Aktionen gegen ihren Freund, der seine Pläne durchkreuzt. Stell dir vor, Amina, es gibt einen Spiegel, durch den er Louise beobachten kann. Ich kann es nicht länger für mich behalten. Ich mag Louise, ich fühle mich ihr gegenüber niederträchtig. Morgen Abend bin ich mit ihr verabredet und werde ihr die Wahrheit sagen.«
»Überleg es dir gut, komm Heinz nicht in die Quere. Von dem Spiegel wusste ich nichts, der Mann hat vielleicht bizarre Ideen.«
»Ich bin entschlossen«, sagte Vera und machte sich auf zum Theater.
Kurz darauf erhielt Mattuschke einen Anruf, der ihn blass werden ließ. Sein Netzwerk funktionierte. Er überlegte eine Weile, das Kinn in seine Hand gestützt, dann erteilte er bestimmte Anweisungen.
Louise hatte inzwischen festgestellt, wann Paul das Büro verlassen hatte. Die Zeituhr, an der er seine Karte stempelte, hatte 21.10 Uhr vermerkt. Gefunden wurde Frau Renard gegen 24.00 Uhr. Auch die Polizei hatte weitere Erkenntnisse. Nachdem keine Fingerabdrücke im Laden gefunden wurden, konnten die Spezialisten Spuren des Schuhprofils feststellen, das vom Täter stammen musste. Es stimmte nicht mit dem von Pauls Laufschuhen überein. Das Profil war das eines derben Wanderschuhs oder Bergstiefels. Paul hätte seine Schuhe wechseln müssen, wenn er tatsächlich vorher gelaufen war. Dass er sich an jenem Abend im Wald befand, konnte als wahrscheinlich angenommen werden. Bei der Hausdurchsuchung fand man seinen Laufdress, der noch Spuren feuchter Walderde aufwies. Man erwartete mit Spannung das Aufwachen der Überfallenen. Das quälend lange Warten zerrte an Louises Nerven. Wieder ging ein Tag zu Ende, ohne dass sie ihn sehen konnte, ohne konkreten Hoffnungsstrahl. Unruhig wälzte sie sich im Bett, Schlaf wollte sich nicht einstellen. Zart nahm sie noch Spuren von Pauls Parfüm in den Kissen wahr. Sie schnupperte sich hinein, wie sehr liebte sie diesen Mann, wie musste ihm wohl zu Mute sein?
An jedem Mittwoch, an dem das Theater spielfrei war, nutzte Vera die Gelegenheit, auf der großen Bühne zu tanzen; zum einen war es notwendiges Training für sie, um fit für die Tanzeinlagen ihrer Rollen zu bleiben, zum anderen träumte sie in dieser Stunde ihren Jugendtraum, Balletttänzerin aus. Wo hätte sie es besser tun können als hier? Der Hausmeister überließ ihr heimlich den Schlüssel, sie brauchte nur gedämpftes Licht, der Theatersaal war eine schwarze Höhle, in der sie sich Hunderte von Zuschauern vorstellte. Vor ihnen tanzte sie, die Primaballerina, nach eigener Choreografie. Wenn sie die Augen schloss, hörte sie Musik, auf die sie die Schritte anpasste, zu der sie schweben konnte und den imaginären enthusiastischen Beifall, der zu ihr hoch drang und sie emporhob wie eine Feder, wie ein Blatt im Zustand der Schwerelosigkeit. Ovationen, die nicht ihrer Stimme oder dem temperamentvollen Spiel verkörperter Figuren galt, sondern allein der begnadeten Solotänzerin. In diesen Minuten war sie glücklich, sah Christina in der ersten Reihe sitzen, schemenhaft im Halbdunkel und ihr zulächeln.
Sie hielt die Augen geschlossen, drehte Pirouetten, als sie plötzlich spürte, wie sich etwas Weiches von beiden Seiten an sie
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