Mattuschkes Versuchung
mochte, aber es war zu viel des Guten. Den ersten Tag bei Gila verschlief sie fast vollständig.
Als sie auf ihrer Bettkante saß und meinte, wieder besser auszusehen, erzählte sie ihr, was zu ihrem Zusammenbruch führte und von dem schrecklichen Verdacht, den Amina hegte. Gila hörte mit schreckgeweiteten Augen zu, ohne sie zu unterbrechen, was eine höchst anerkennenswerte Leistung war.
»Wie fürchterlich, du tust mir so leid Louise, ich kann nur versuchen, nachzuempfinden, wie du dich fühlen musst«, presste sie hervor.
Eine lange Pause entstand. Louise war erschöpft vom Reden und den aufgekommenen Erinnerungen, Gila brauchte Zeit zum Nachdenken.
»Jetzt habe ich endlich die Erklärung für sein unverständliches Verhalten, ich habe oft darüber nachgedacht, warum er den Wohltäter spielt. Du hättest stutzig werden müssen. Das war deine unbewusste Gegenleistung. Ich bin überzeugt, dass er hinter Veras Tod, den Anschlägen auf Paul und dem mysteriösen Unfall seiner Frau steckt. Hat er dir gegenüber jemals von ihr gesprochen?«
»Nein, das war ein Thema, das immer vermieden wurde, dafür hat er öfter eine Artistin des Zirkus, in die er wohl sehr verliebt war, erwähnt.«
»Allein das wäre schon ein Indiz für das schlechte Gewissen seiner Frau gegenüber, die er aus der Erinnerung gestrichen hat. Es war richtig, dass du besonnen reagiert hast und nicht mit der Tür ins Haus gefallen bist. Solange er nicht ahnt, was du weißt, bist du im Vorteil. Es ist gefährlich und eine fürchterliche Situation, unter Beobachtung in der Wohnung zu sein, aber es wird dir vorerst nichts anderes übrig bleiben, wenn du ihn nicht anzeigen willst.«
»Ich muss mir eine andere Bleibe suchen, bist du mir behilflich?«
»Natürlich, ich kenne eine Maklerin, sie glaubt dann, ich suche eine größere für mich.«
Noch am gleichen Tag setzte sie sich mit ihr in Verbindung und studierte entsprechende Angebote. Louise kehrte in ihre Wohnung zurück. Es war ein eigenartiges Gefühl, dort, wo sie vertraut war, plötzlich mit dem Bewusstsein zu leben, bei jedem Schritt beobachtet und bei jedem Wort belauscht zu werden. Unsicher bewegte sie sich wie in einer fremden Umgebung. Öfter hatte sie von Bekannten gehört, wie unwohl und unsicher sie sich nach einem Einbruch in ihr Heim fühlten, im Wissen um ihre verlorene Intimität. Ihr Empfinden war ähnlich, obwohl die Situation viel schlimmer war. Ein Glück, dass wenigstens das Bad seinen Blicken verborgen blieb. Paul kam zu ihr und wollte die Nacht über bei ihr bleiben, eine undenkbare Vorstellung unter den gegebenen Umständen. Sie lehnte es mit allerlei Begründungen ab, es tat ihr weh, zu sehen, dass er verletzt war. Sie schmiegte ihren Kopf fest an seine Brust.
»Ich habe Angst um dich, der Gedanke, dass dir wieder etwas passieren könnte, lässt mich nicht zur Ruhe kommen.« Er umarmte sie, gab ihr einen flüchtigen Kuss und verließ sie schweigend. Wie sollte er ihre Reaktion verstehen? Als er den Wagen zuhause abstellte, hörte er ein leises Zischen, beugte sich hinunter, das Geräusch kam von einem Reifen, der merklich Luft verlor. Bald würde es ein Plattfuß sein, dachte er, ausgerechnet. Morgen würde er zu Fuß zum Institut gehen müssen. Sollte die Unglückssträhne noch immer nicht enden? Am besten würde er Louise überhaupt nicht mehr mit seinem Wagen besuchen. Verärgert ging er zu Bett. Entgegen sonstiger Gewohnheit ließ er auch nicht mehr bei ihr durchläuten, um zu signalisieren, gut angekommen zu sein.
Gila hatte schon nach wenigen Tagen Erfolg: eine interessante Wohnung, gut geschnitten, in zentraler und doch ruhiger Lage zu günstigem Preis. Sie wurde vor kurzem renoviert, bald darauf erhielt der Mieter einen Versetzungsbescheid, dem er als Beamter nicht widersprechen konnte. Gila berichtete es am Telefon, Louise antwortete nur mit ja, nein oder schön, um sich nicht zu verraten, Gila hatte aber Einfühlungsvermögen genug, die sonst sicher gestellten Fragen zu erahnen und auf alle wichtigen Details einzugehen.
»Wenn du Zeit hast, kann ich dich nach dem Essen abholen, um sie zu besichtigen.«
Louise antwortete laut: »Ein Kaffeeklatsch bei dir im Hof. Originell, da komme ich gerne Gila.«
Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass ihr diskret ein Wagen folgte, sie schaute bewusst nicht häufiger in den Rückspiegel, um sich nicht zu verraten. Amina hatte also Recht. Sie parkte in der Straße vor Gilas Haus, stieg aus und schnäuzte sich umständlich. Aus
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