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Mattuschkes Versuchung

Mattuschkes Versuchung

Titel: Mattuschkes Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ersfeld
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Überleg es dir, ich zahle dir ….«, den Betrag flüsterte er ihr ins Ohr.
    Louise war verwirrt, ihr Kopf rauschte. Sie hielt ihm eine Schale mit Plätzchen hin, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Er griff zu, nahm sich ein paar und verabschiedete sich. »Denk darüber nach!«
    Sie glaubte zu träumen, von dem versprochenen Betrag könnte sie mühelos die Miete bezahlen und hätte noch ein Sümmchen übrig. Sogar die Stunden in der Försterklause könnte sie reduzieren und sich stärker auf das Studium und die Arbeit hier konzentrieren. Ihr Herz schlug aufgeregt. Wenn sie ihm in die Augen schaute, spürte sie absolutes Vertrauen, sie würde alles erst einmal überschlafen und mit Gila bereden.
    Mattuschke verspürte eigenartige Unruhe, er hoffte fest, sie vom Bleiben überzeugt zu haben. Während er auf das Büro zusteuerte, biss er gedankenverloren in das mitgenommene Gebäck von Louises Tante, als er stutzte. Der intensive Geschmack von Zimt, Nelke und Zitrone löste schlagartig Erinnerungen an seine Kindheit aus, an die goldfarbene Dose mit den verführerisch duftenden Plätzchen seiner Stiefmutter, deren Zimtgebäck mit seiner einmaligen Rezeptur ihm am allerbesten schmeckte. Seit er von zuhause wegzog, waren sie ihm nie wieder begegnet, bis heute. Er schloss die Augen, biss vorsichtig auf die zart-blättrige Struktur und ließ sie am Gaumen schmelzen. Ja, das waren sie, ohne Zweifel.
    Sie wurden in einem schweren Waffeleisen gebacken, kaum roch er ihren Duft, der durch alle Räume zog und in seiner empfindsamen Nase freudigen Alarm schlug, rannte er in die Küche, um der geheimnisvollen Produktion beizuwohnen. Die Waffelgebilde verließen das Eisen als heiße quadratische Scheibe und wurden, kaum erkaltet, in einzelne Elemente mit unterschiedlichen Reliefs zerschnitten, wobei er die zerbrochenen essen durfte und sie noch lauwarm in das Kindermäulchen schob. Einige Scheiben rollte Lavinia ungeteilt über einen Holzstiel, so dass sich trichterähnliche Tüten bildeten, die vorsichtig verpackt wurden. Die übrigen wanderten in die goldfarbene Dose, wo sie des Weihnachtsfestes harren sollten. Aber er hatte nicht nur einen untrüglichen Spürsinn, wo sie verwahrt wurden, sondern auch die Kletterbegabung eines Schimpansen, an sie zu gelangen und sich immer wieder eins der köstlichen Objekte in den Mund zu stecken. Mattuschke lehnte den Kopf in den Nacken, Bilder seiner Kindheit nahmen ihn plötzlich gefangen wie zufällige Blicke.

Seine Mutter Veroni, hatte er nie kennengelernt. Die Eltern waren Artisten, sein Vater Zauberer und Messerwerfer, der seine Frau, auf ein drehendes Rad gespannt, vor den Augen des atemlosen Publikums mit Messern bewarf, zur Steigerung des Nervenkitzels am Schluss sogar mit brennenden, die er nah an Kopf und Körper seines Objekts platzierte. Veroni war ebenfalls Artistin, die als junges Mädchen zusammen mit Vater und Bruder als ,Flying Maredos am Trapez auftrat und sich nach spektakulären Saltos von ihren kraftvollen Händen auffangen ließ. Sie war es gewohnt, diesen Händen und den sekundengenauen Kommandos ihres Vaters, die den Zugriff exakt in dem Moment sicherstellten, in dem sie sich aus ihrer Drehung löste und die Arme ausstreckte, ihr Leben anzuvertrauen. Ebenso unerschütterlich vertraute sie auch den Würfen ihres Mannes, hatte keine Angst oder zeigte sie nie, allein schon, um ihn nicht in seiner Konzentration zu stören oder zu verunsichern. Das Einzige, was sie lange trainieren musste, war, bei den heranfliegenden Messern die Augen nicht zu schließen, sondern ihnen entgegenzublicken, um dem Publikum ihren Mut zu beweisen und im Notfall mit einer schnellen Kopfbewegung ausweichen zu können. Je näher die Messer ihren Körper einrahmten und den Stoff des Kostüms berührten, desto begeisterter reagierten die Leute in sensationslüsterner Spannung. Bei den Zauberkunststücken fungierte sie als attraktive, knapp bekleidete Assistentin, der es leicht gelang, den Blick, vor allem der männlichen Zuschauer, abzulenken, wenn es im Sinne des Gelingens notwendig war. Sie ließ sich mehrfach zerschneiden, köpfen, Astronauten gleich durch den Raum schweben und war doch in der Lage, immer wieder unversehrt aufzutauchen. Am verblüffendsten war der Trick, sie vor den Augen des Publikums wegzuzaubern und hinter unsichtbar schwarzen Tüchern verschwinden zu lassen.
    Als Trapezfliegerin trat sie nicht mehr auf, seitdem sie für die Fänger zu groß und zu schwer geworden war.

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