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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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bei genauer Betrachtung nur Alibis sind, um die eigene Existenz zu rechtfertigen. Bah. Aber wenn mich denn schon irgendwelche Leute regieren müssen, dann bitte sehr solche, die irgendwer mal gewählt hat.«
    »Sind Sie fertig?« sagte Genenger. »Sie öden mich an. Ich finde, sogar meine Leichen sind amüsanter und abwechslungsreicher als die sogenannte Politik in diesem sogenannten Land. Und du warst auch schon amüsanter.«
    »Na gut.«
    Jorinde riß die Augen auf. »Bist du krank? So sanft und durch Widerspruch zu bremsen?«
    Baltasar nahm die Wampe von der Tischkante und schmatzte. »Erstens hab ich Hunger. Zweitens sind meine Fragen gegen Flavius Dittmer noch immer unbeantwortet. Drittens nehme ich Widerspruch besonders dann gern zur Kenntnis, wenn ich mich selbst zu langweilen beginne. Punkt.«
    Genenger brüllte einige unverständliche Kurzformeln Richtung Küche; der Hintern des Wirts verschwand aus der Durchreiche, wurde durch den Kopf ersetzt, der »Häh« sagte und dann genickt wurde, ehe er sich wieder verzog.
    »Soviel hierzu. Ihr kriegt gleich was zu essen.«
    »Egal was?«
    »Egal was, liebe Jorinde. Ihr habt sowieso keinen Geschmack.« Genenger fuhr sich mit der Hand über die Glatze. »Was nun deine Frage angeht, Baltasar – Dittmer ist kein Politiker, sondern hohe Knallcharge in der Verwaltung. Die Sache wird dadurch ein wenig nebulös, daß hier eigentlich keine Verwaltung existiert, da dieses Kaff ja eingemeindet ist.Verwaltungsreform, wie man so sagt. Aber irgendwie hat man uns hier übersehen.«
    Jorinde seufzte. »Können wir jetzt mal von was Wichtigem reden? Zum Beispiel, wie das nun mit diesem ollen Schuppen da ist?«
    Genenger nickte.
    »Also, wieso hast du uns da untergebracht?«
    Er kniff ein Auge zu. »Weil ich nicht durch euch zwei Labersäcke in meiner Beschaulichkeit gestört werden will. Wie Matzbach sagen würde. Ich hab verdammt keine Lust, drei Wochen oder so mit euch unter einem Dach zu hausen. Außerdem ist mein Häuschen zu klein für alle. Und manchmal teile ich mein einziges Schlafzimmer mit netteren Menschen als euch, und dann will ich euch nicht dabeihaben.«
    Matzbach prustete. »Wieviel nettere Menschen auf einmal, o du Leichmann?«
    »Jeweils eine Frau. Mehr wäre weniger. Zufrieden?«
    »Nein.« Jorinde klopfte auf den Tisch. »Wieso hast du uns in diesem Schuppen da untergebracht?«
    »Gefällt er dir nicht?«
    »Doch, doch; ganz bezaubernd, vor allem die Inneneinrichtung. Aber ich denke, das Ding gehört der Gemeinde?«
    »Die es nicht gibt«, sagte Matzbach.
    »Eben. Allmählich kommt ihr hinter die Feinheiten. Man muß ins Ahrgebirge reisen, um eine Gemeinde zu finden, die es nicht gibt, und die über Häuser verfügt, über die sie nicht verfügen kann. Die einen Privatfriedhof zuläßt und dem Leichmann ein unverfügbares Haus zur Verfügung stellt, damit er lästige Gäste abschieben kann. Ist doch alles bestens. Ich weiß wirklich nicht, was du gegen dieses unser Land hast.«
    Der Vollmond hing über den Bergen, als sie gegen Mitternacht leicht schlingernd die
Reblaus
verließen und bachaufwärts wanderten. Lange Zeit sagten sie nichts. Der kaum spürbare Wind verteilte schwere süße Gerüche und herbere Düfte von Feldern und Gärten über dem Land. Irgendwo schrie ein Käuzchen. Aus dichten hohen Bäumen am Bach zuckten Fledermäuse durch den hellen Himmel. Kurz bevor sie den Feldweg zur alten Pferdekapelle erreichten, legte Genenger, der in der Mitte ging, die Arme um Jorinde und Baltasar und schob sie sanft zum Bach.
    »Nicht weitersagen«, murmelte er. »Meine Lieblingsstelle.«
    Er ließ sie los, bückte sich und kroch voran. Sie arbeiteten sich durch eine dichte Hecke, kletterten über eine halbzerfallene Mauer aus Feldsteinen und zwängten sich durch die sperrigen Vorhänge zweier Trauerweiden.
    Vor ihnen glitzerte der weite Bogen des Bachs, wie ein silbriger Arm gelegt um einen Sandbusen. Die Fläche von vielleicht zwanzig mal zehn Schritten war weiß im Licht des Mondes, der eben noch über die Efeumassen der zerfallenden Hauswand lugte. Daneben ein Gemenge aus wildem Wein, verschiedenen Heckensträuchern, Geißblatt und Weißdorn, dann die Trauerweiden und jenseits des Bachs ein steiles Felsufer.
    »Gut, gut«, sagte Matzbach leise. Er boxte Genenger in den Bauch. »Ich wußte nicht, daß dein Gemüt so beschaffen ist. Hm. Duft.« Er ließ sich im Sand nieder und zog Jorinde zu sich herab.
    »Sehr schöne Stelle, Heinrich«, sagte sie, eine ganze

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