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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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die Tür.
    »Ah, Leichmann«, sagte die Weinbeschafferin.
    »Ah, Dany. Bis die Tage.«
    »Bis neulich.«
    Genenger kam zum Tisch, sah den Kaffee, schüttelte sich und orderte mehrere Flaschen – »zum Probieren, damit ihr wißt, was hier angesagt ist.«
    Sie tranken eine Weile von diesem und jenem; Genenger erzählte Dorf- und Friedhofsklatsch; Matzbach machte makabre Bemerkungen und forderte die immer noch niedergeschlagene Jorinde auf, von ihrem Hexencomputer zu berichten.
    Flavius Dittmer – Sohn eines Althistorikers – setzte sich ein paar Minuten zu ihnen. Es war noch relativ früh; am Tresen standen zwei ältere Männer, die nicht mehr im Weinberg arbeiten mochten oder konnten. Aus dem vorderen Teil des Lokals drang schubweise Lärm: Stimmen, das Scheppern von Geschirr, eine Art Geräusch namens »Humba Täterä«, Gejohle und knirschendes Mobiliar, wenn das Schunkeln überhand nahm.
Die Reblaus
, ein postmodernes Fachwerk-Rechteck, lag mit der vorderen Schmalseite im Tourismus des Ahr-Ufers und mit der Rückseite an einem verrümpelten Hof, den ein angeketteter Hund mit Stimmbruch verwaltete. Die Kopfsteingasse, die in Hundenähe endete, begann an der Kirche und drängelte sich zwischen Hinterhäusern, Schuppen und Stangenbohnengärten hin zur
Reblaus
. Einheimische tranken im verqualmten hinteren Teil des Lokals, an einem alten Holztresen; man konnte sich auch an einen der prämodernen Tische setzen und Schnitzel oder Würste von Schweinen essen, die frei herumgelaufen waren. Jenseits der Küche begann die teilverchromte Vorhölle der Touristen, mit naßgezuckertem Wein, der Musicbox und panierten Schnitzeln aus der Fabrik.
    Matzbach schielte in seinen Riesling, hob das Glas und betrachtete Flavius Dittmer durch Behälter und Inhalt. »Und was sind Sie? Verordneter, Beigeordneter, Abgeordneter, Übergeordneter?«
    Dittmer stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte. »Untergeordneter Deportierter«, sagte er mit leichtem Lächeln. »Irgendwiehaben wir es geschafft, vergessen zu werden. Wir liegen hier so günstig, daß bisher keiner auf den Gedanken gekommen ist, etwas sanieren oder sonstwie kaputtmachen zu müssen. Offiziell sind wir mehrfach eingemeindet. Tatsächlich haben wir eine Art Autonomie.«
    »Was meine Frage nicht beantwortet.«
    »Nee. Aber es erklärt, wieso ich sie nicht so genau beantworten kann. Ich bin so was wie ein Gemeinde-Vizedirektor. Wenn’s das gäbe.«
    Jorinde hob die Hand. »Moment mal. Schauen Sie mal eben auf meinen Finger.«
    Dittmer blinzelte. »Was?«
    »Nicht blinzeln. – Ah, gut. Reden Sie weiter.«
    Dittmer warf Genenger einen Blick zu; der Bestatter hustete. »Sie ist eine Hexe, Flavio. Er ist bescheuert, sie ist okkult, ich verbuddele Kadaver, und du bist Gemeinde-Vizedirektor. Alles klar soweit?«
    Dittmer schüttelte den Kopf. »Hexe? Also, bescheuert versteh ich; mit Bescheuerten hab ich dauernd zu tun. Aber Hexe?«
    Jorinde faltete die Hände; Baltasar spitzte den Mund und betrachtete zuerst ihre kräftigen, schlanken Finger mit den feinen Verätzungen – Spuren mißlungener Alchimie –, dann das Gesicht, schließlich wieder Dittmer.
    »Lassen wir diese Verfumfeiungen als wie bescheuert mal beiseite. Zu Ihrer Information: Sie wurden soeben von der Hexe angepeilt, eingeordnet und für tauglich befunden. Ich bestehe darauf, daß Sie das zu freuen hat.«
    »Freut mich, freut mich.« Dittmer runzelte die Stirn. »Ich weiß aber nicht, ob ich das lange aushalte mit Ihnen.«
    »Fragen Sie uns doch mal, wie lange wir das noch aushalten.« Jorinde kaute auf der Unterlippe.
    Genenger patschte mit der Rechten auf den Tisch. »Nu hört doch mit dem Gefasel auf. Wir haben wichtigere Dinge zu tun. Trinken, zum Beispiel.« Er klatschte in die Hände.
    Der Wirt – Basketballermaß, Schuhgröße um die 49, Gewicht höchstens 60 Kilo – streckte die Nase aus der Küche. »Eh?« Die Durchreiche wirkte einen Moment lang konkav.
    Heinrich deutete auf die Gläser.
    »Ah.« Die Nase wurde zurückgezogen; das gesamte Skelett erschien in der Tür.
    »Ich glaube, ich werde Sie Freund Hein nennen, solange ich bei Ihnen versacke«, sagte Matzbach, als der Wirt mit zwei Literflaschen erschien. Sie hatten keine Aufkleber.
    »Wie originell.« Dittmer seufzte und schloß die Augen.
    Der Wirt stellte die Flaschen auf den Tisch, raffte die dunkelblaue Schürze, schneuzte sich hinein, blickte Matzbach aus rotgeränderten Augen an und sagte: »Pah.« Dann deutete er auf Genenger (Heinrich

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