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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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fort und gab Anweisungen. Jorinde entfernte den Lehnstuhl, der links vom Bett stand. Genenger zog die Decke weg. Osiris K war vollständig angekleidet. Matzbach faßte ihn bei den Füßen, hob ihn an und hielt ihn, bis Genenger das verfärbte Laken unter dem Leichnam herausgerupft und ein großes dunkles Wachstuch zwischen Matratze und besudelte Beinkleider geschoben hatte.
    »Sag doch was.« Jorinde, die sich zum Sekretär zurückgezogen hatte, blickte Matzbach flehend an; dann machte sie sich zwischen den Papieren des Toten zu schaffen.
    »Ausziehen, waschen, schneiden, umlegen«, sagte Matzbach. »So etwa? Heinerich, ihr graut vor dem. Sag Bescheid, wenn du mich nicht mehr brauchst; ich geh dann in die Küche, um uns ein Frühstück zu bereiten. Soll ich mir etwa vorher die Hände waschen?«
    Genenger grinste stumm; Jorinde sagte: »Gah.«
    »Ich nehme das als Zustimmung.
Mon dieu
, nicht mal sechs Uhr früh. Zuerst vor dem Schlafen aufstehen, dann vor dem Frühstück Leichen waschen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ich will euch eine Geschichte erzählen, ihr Lieben. Sie handelt von einem alten Feinschmecker.«
    »Gah«, sagte Jorinde; sie raschelte mit Papier. »Lauter Poesie.«
    »Sag ich doch.« Matzbach nahm die Waschschüssel entgegen, die Genenger aus der abgründigen Tasche zog, und ging ins Bad. Während das warme Wasser floß, schwieg er; als er mit der gefüllten Schüssel zurückkam, räusperte er sich.
    »Also, dieser alte Feinschmecker kommt durch eine entlegene Straße von Paris, in einer Gegend, die er zum letzten Mal vor zwanzig Jahren auf der Suche nach Eßbarem durchstriffen. Es gibt dort, zu seiner freudigen Überraschung, inzwischen einneues Restaurant. Das Etablissement hat aber keine Speisekarte ausgehängt. Er geht trotzdem hinein und setzt sich erwartungsfroh an einen Tisch. Die Tischdecke ist rot-weiß kariert.«
    »Ist das wichtig?« Genenger blickte von seinem Hantieren mit Seife, Waschlappen und Körperteilen auf. Jorinde machte ein Würgegeräusch und wühlte weiter in den Schubladen.
    »Nur atmosphärisch, aber das gehört dazu. Ein Kellner in blütenweißer Livree tritt zu ihm und sagt: ›Monsieur?‹ Monsieur hüstelt und sagt: ›Ich hätte gern etwas gegessen. Bringen Sie mir doch bitte die Karte.‹ Der Kellner lächelt. ›Wir haben keine Karte, Monsieur.‹ Monsieur
le gourmet
blinzelt verblüfft, oder verbloffen, wie man’s nimmt.«
    Jorinde seufzte.
    »›Keine Karte? Wie sollen Ihre Gäste denn bestellen?‹ Der Kellner, sehr freundlich: ›Ganz einfach, Monsieur – Sie bestellen, was Sie gern äßen, und wir bereiten es zu.‹ Monsieur, immer noch erstaunt, sagt: ›Egal was?‹ Der Kellner nickt. Aha, denkt sich Monsieur, euch leg ich aber rein.«
    »Umdrehen«, sagte Genenger. »Und dann brauch ich dich erst mal nicht mehr.«
    »Gut, gut; dann kann ich mich ja ums Frühstück kümmern.« Matzbach wanderte zur Küche; er ließ die Türen auf und redete weiter, so laut, daß es im ganzen Haus zu hören war.
    »Also – hm, kein Kaffee? Doch, aber nur Instant. Bah. Was sagt der Kühlschrank? Knurr mich nicht so an.« Er öffnete die Kühlschranktür. »Hm. Milch ist da. Und sonst? Marmelade. Käse. Margarine. Eier. Ah,
à propos
, zurück zur Geschichte. Monsieur grübelt also einen kleinen Moment, dann bestellt er wie folgt.«
    »Wasch dir die Hände«, rief Jorinde.
    »Wie Sie wünschen. ›Bringen Sie mir doch bitte zum ersten Durstlöschen ein Fläschchen chinesisches Bier, und zwar ausder weiland deutschen Brauerei der Stadt Tsingtao.‹ Der Kellner nickt und notiert.«
    »Wie hat dein Monsieur ›weiland‹ auf Französisch gesagt?« Genengers Stimme klang ein wenig unterdrückt, als höbe er einen schweren Gegenstand.«
    »
Ex
«, sagte Matzbach. Er zerschlug Eier am Pfannenrand und prüfte die Milchtemperatur mit dem rechten kleinen Finger. »Zucker zum Kaffee? Vielleicht auch
antérieurement
oder sogar
feu
; es geht dich aber einen feuchten Kehricht an, Genenger; du kannst doch gar kein Französisch.«
    »Becher oder Tasse?« sagte Jorinde.
    »Becher. Und die gewünschte Stärke des Kaffees, Madame, Monsieur? Gewöhnlich, hektisch,
extra stout

    »Letzteres, und drei Löffel Zucker«, sagte Genenger.
    »Ich auch. Gah.«
    »Sehr wohl. ›Als Vorspeise hätte ich gern einen kleinen Cocktail aus Kolibri-Eidotter, sagen wir, zehn Dotter, gequirlt in dreiundachtziger Carta de Oro.‹ Der Kellner notiert. ›Danach eine kräftige Kudu-Bouillon, aber Bouillon,

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